Saarkalender für das Jahr 1925
Geſchichten vom alten Meiſter Leim.
Von C. Schu m ann, Schreinermeiſter, Saarbrücken.
Viele werden es kaum für möglich halten, aber es gibt Leute, die so zerfahren und
zerstreut sind, daß sie oft Handlungen begehen, die zufällige Beobachter untvillkürlich
zum Hellauflachen reizen, während der Urheber demgegenüber völlig verſtändnislos bleibt.
Zu diesen wunderlichen Geſtalter gehörte auch unſer Meiſter Leim. Im letzten „Sa a r-
kalender“ habe ich ihn ſchon vorgeſtellt, wie er seiner Frau den „Damehutt“ im
Ofenloch formte. Seinen wahren Namen brauche ich nicht zu nennen. Die Alten, die ihn
noch gekannt haben, leben nicht mehr und die Jungen amüsiert nur seine Eigenart. Außer-
dem leben noch Nachkommen won ihm und sie könnten mir's übelnehmen, wenn nun, aus-
gerechnet sein Enkel, diese Geschichten, um den) Leſera eine gemütliche Stunde zu bereiten,
im „Sa ark alen d e r“ an die große Glocke hängt.
Ich bitte mir nur aus, daß davon nichts weiter erzählt wird, und sollte trozdem der
eine oder der andere zufälligerweise dahinter kommen, daß es sich um meinen Großvater
handelt, so sage er wenigstens nichts d av o n, daß i ch die Geschichten erzählt habe. Ich
- könnte sonst die größten Unannehmlichkeiten dadurch erfahren. Eigentlich hieß er ja
auch gar nicht „Lui“ mit Vornamen, soaudern „Willem“, aber damit das Geheimnis, das
über seiner Person lagert, noch ein tieferes wird, lasse ich ihn weiter unter „Lui“ hier
wandern. Ich wünſche in meiner Herzensgüte nicht, daß es manchem lieben Leser ſo geht
wie ihm, als er eines schönen Morgens wckch wurde. Ganz verdutzt ſchaut ihn seine Frau
~ „'s Kathrin“ ins Gesicht. „Jesſes“, sagt sie, „Lui, seit wann lehſcht du dich dann met
dr Brill uff dr Nas ins Bett?“ g,Ja, wäſchde“, erwidert er darauf ſseelenruhig, „ich
hann die Naacht extra misse uffschtehn for se anzuduhn. Ich siehn dr ämol zuu ſchlecht!
Ich hann dr grad so ſcheen gedräämt, ~ awwer menſchde, ich hätt ähne Minſche kenne
kinne, wann ich die Brill nit angedohn hätt,“ 's Kathrin, „e ald Saabricker Mäde“ mit
einer sehr beweglichen –} man darf den Ausdruck nicht zu tragiſch nehmen, er iſt
hiſtoriſch – „saabricker Schniß“ ausgestattet: „Dirmel!“, sagte sie, und „Du werrsſcht sei
Lebdesdag nit gescheit!‘ wovon er ihr aber das Gegenteil einige Tage später heim-
tückiſcherweiſe beweiſen wollte. Juchhe! da iſt er an einem schönen Nachmittag in die
„Bloo Hand“ in der Vorstadtſtraße geraten. und da er dort gleichgeſinnte alt Hieſsige
trifft, er auch ein trinkfeſter Mann im Allgemeinen und als Schreinermeister im Beson-
deren dem alten Zunftbrauch nachlebte:
Ein Schreiner der nit säuft.
Ein Hobel der nit pfeift,
Ein Weibsminſsch das den Mund ſtets hält,
Die paſſen nit auf dieſe Welt!
ſo iſt es ziemlich ſpät in der Nacht, oder richtiger, früh am Morgen, als er seinem
treten hewſches Herd in maleriſchen Schlangenlinien, die sich nett im Schnee ab- .
zeichnen, zuſtrebt.
Unterweas schießt ihm fortwährend doch der unbehagliche Gedanke durch den Denker-
kopf: „Was machſchde nure, was machſchhe nur? Wanns Kathrin, iwwerdemm du ins
Nescht krawelſcht, wach werre däht, un merkt wie späts is, dann kriehſchde dein Fett!“
Als Frucht seiner Ueberlegung kommt ihm ein rettender Gedanke, was ſich durch ein in
die stilldunkle Nacht halblaut geſprochenes „Richtig! So gäbts gemacht!“ auch äußerlich
beruhigend bemerkbar macht. ' f
Von der Vorſtadt bis an „Karcherſch Eck“, neben der jetzigen Bank Grohé-Henrich,
iſt nicht weit und deshalb, da der Schnee unter seinen Füßen rangſt und knirſcht, ihm
das „,leiſe, leiſe, fromme Weise“ erstes Gebot. Leise ſchlich er auf seine Stube zu,
deren Türe zugleich Haustüre war, und die zuzusſperren damals, als unnötig, jeder unter-
ließ. Leiſe klinkte er die, statt eines komplizierten. Sicherheitsſchlosses von heute, ange-
brachte einfache „Falle“ auf, schlich sich in sein Schlafgemach, das gleichzeitig Wohn- und
Eßzimmer war. Leiſe zog er sich aus, legte seine Kleider auf den dazu bestimmten Stuhl,
leiſe setzte er sich an des Kleinſten Wiege, aber laut fing er darauf zu „,„ſchockeler und
zu singen an:
Heija, bobeija, ſchlahs Hinkelje doht!
Es leht mr kä Eier un freſſt mr mei Brot!
Als er aber das andere, zum Einſchläfern der nächtlichen Schreihälse mit unausbleiblichem
Erfolg angewandte Liedchen anſtimmen wollte: | : ; ;
Schlof. Kindle, ſchlof,
Dein Vadder is e Schof!
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