Saarkalender für das Jahr 1925
Währungsfragen und Erbſchaftsregelung in
unserer Gegend zu Leut Hes Dreißigjährigen
Von Schreinermeister C. Schumann, Saarbrücken.
Bei der Berechnung des ſchwankenden Wertes der verschiedenen Franken zum
Dollar und dann wieder zur Mark, der goldenen wie der papierenen, greift sich
heute wohl manch einer in die Haare, vorausgeſetzt, daß er welche hat! Verzweifelt
über die peinvolle Aufgabe und ihre schwierige . Löſung gedenken wir ſchließlich des
ewig jungen, stets Erleichterung verſchaffenden frommen Wunſches des alten Götz
v. Berlichingen und lassen resigniert den Bleiſtift an seiner Drahtſpirale in die Höhe
k:!!rr Wir ahnen nicht, daß unsere Vorfahren noch ganz andere Schmerzen in dieser
Beziehung auszuſtehen hatten. Ihre Geldsorten, sozuſagen Legion, waren alle zugleich
im engsten Bezirk im Umlauf und ihre Berechnung unter sich bedeutend ſchwieriger,
wie heute. Ihr Wert war nicht auf das Dezimalſyſtem eingerichtet, ebenſowenig konnte
man, wie heute, zur nächſten Bank laufen und dort die inhaltsſchwere Frage an
das Schicksal: „Wie steht er?“ fix und fertig beantwortet, von der ausgehängten
Tatelle ablesen.
Jeder Kaufmann, jeder Fuhrmann, jeder Beamte, oder wer sonst mit den ver-
ſchiedenen Geldsorten in tägliche Berührung kam, mußte ſchon eine Art Rechenkünſtler
ſein. Es darf uns daher nicht wundernehmen, daß die „Geſscheuten“ der damaligen
Welt hieraus Nutzen zogen, mit der Zeit Inhaber sämtlicher Ländereien ihrer Umgebung
wurden und heute als die Ahnherrn reicher Familien verehrt werden. Die Ehrlichen
und Gutgläubigen aber, nachdem sie noch den übriggebliebenen schäbigen Reſt ihrer
einstigen Habe dem Himmel vermacht hatten, saßen in. ihrem Alter im „Gutleut-
häuschen“, am Daumen lutſchend. Im Gegensatz zu jenen wurden ihre Nachfahren
auch nicht als Ahnherrn und Ahnfrauen verehrt, ſondern als ebenso treue, wie ausnutz-
bare Seelen und arme Kirchenmäuſe, als willige Werkzeuge zu weiterer Bereicherung
auf ihre Kosten sehr gern gesehen und –+ heute noch -+ begehrt.
Wie man damals rechnen, und mit welchen Geldsſorten man Umgang pflegen
mußte, ebenso aber auch, daß sich damals schon die Geier sammelten, wenn es galt,
einen guten Bissen wegzuſchnappen, beweist die Geschichte der „Anna Maria,
Strohſchnitters Endres hinterlaſſenen Witwe“. Aus alten Gerichts-
akten lasse ich hier die Tragödie folgen, die in mehr als einer Beziehung zur Be-
urteilung der Verhältnisse und der Menſchen damaliger Zeit sehr lehrreich iſt.
Um das Jahr 1622 war die junge und jedenfalls nicht unschöne Frau von anſcheinend
auf ihrem Hof einquartierten Soldaten, „Spangern“ (Spaniern), wie der Herr Truchseß
vom Hof in einem. entrüſteten Briefe an den. „Ehrenvesten, Hochachtbaren, Insonders
günstigen Herrn Ambtmann“ ſchreibt, vergewaltigt worden. Ihr Mann ertrug die
Familienschande nicht und entleibte sich. Die böſen Mäuler mit ihrem nicht sanft-
ſäusſelnden Hohn und Spott ſtellten ſich ein. Die Frau, in Sorge und Angst, nahm
ihr kleines zappelndes Bündel auf den Arm und wußte nichts Beſſeres zu tun,
als unter Hinterlassen ihres Gutes bei Nacht und Nebel spurlos zu verschwinden.
. Hei! Das war ein gefundenes Fressen für alle mit starken Ellenbogen und zum
einbringlichen Rechnen eingerichteten hochmögenden Sassen des Bezirks. Von dem ganzen
Vermögen blieb bald nichts mehr übrig, und die „Anna Maria“ mitsamt ihrem Kind –
wäre sie unvermutet zurückgekehrt – hätte in den Mond gucken können. Das erzählen
uns die Akten bis ins kleinste. Ich lasse ſie hier abgekürzt reden und will sie wegen
des beſſeren Verständnisses in unserer heute gebräuchlichen Sprache wiedergeben. Sie
bzzitpen ute der Aufrechnung der aus der Versteigerung der Güter der Versſchwundenen
en Gelder. ;
67