Saarkalender für das Jahr 1925
16.
des Völkerbundes, des Beſchützers bedrückter
Völker. Es iſt wahrscheinlich, vaß – wenn
der Völkerbund nicht mehr in Aktion
tritt – sein Name zum Symbol haſssens-
werter Tyrannei und deſpotiſcher Herrſchaft
wird.“
Sept.: Das engliſche Blatt „Manchester
Guardian“ bringt einen Artikel über den
Abschied Waughs und ſsagt, er sei das
einzige Mitglied der Regierungskommission
geweſen, an dessen Unparteilichkeit die
Saarländer und die übrige Welt glaubten.
„Praktiſch stehen die anderen vier Mit-
glieder offenkundig unter dem Einfluß der
franzöſiſchen Politik. Eine vertrauens-
würdige Verwaltung des Saargebiets müsse
garantiert werden.
Die „Saarbr. Ztg.“ bemerkt dazu u. a.:
„Man mache mit der bisherigen Politik
Schluß, und der Friede im Saargebiet mit
einer Regierung, die ihre Aufgabe als Treu-
händer erfüllt, wird hergeſtellt sein.“
Sept.: Drei große Protesſtverſammlungen
der Kriegsopfer in Saarbrücken, Neun-
kirchen und Saarlouis gegen die Regie-
rungskommission. „Die Rechtlosmachung der
sſaarländiſchen Kriegsopfer“ bildete das ge-
meinſame Thema. Nach Einführung der
Rentenzahlung in Franken ist, so heißt es
in der Resolution, eine Besserung für die
Versorgungsberechtigten nicht eingetreten,
da gewaltige Veränderungen im Wirtſchafts-
leben zu verzeichnen sind. Als besenderer
Akt der Willkür wird die Nichteinführung
der Novelle zum Reichsversorgungsgesetz
getadelt. Die Versſammelten fordern, daß
die Regierungskommission das Versäumte
auf ſchnellſtem Wege nachholt.
11. Sept.. Frankreich un d Dr. Röch-
l i n g. Rault teilt dem Landesratsmitglied
Dr. Röchling mit. daß die franzöſiſche
Regierung nichts einzuwenden habe gegen
seine Reiſe nach Genf zum Völkerbund.
Zugleich wird gesagt, die Interalliierte
Rheinlandkommission habe die Aufhebung
des Aufenthaltsverbots im besetzten Gebiet
abgelehnt. Zu bemerken bleibt, daß es ſich
gar nicht um einen Aufenthalt, sondern um
f urehreiſe durch das besetzte Gebiet
andelte.
Sept.: Der Haushaltsplan des Saargebiets
für das Rechnungsjahr 1923/24 geht dem
Landesrat zu. Einnahmen und Ausgaben
schließen mit 155 Millionen Franken ah,
während das Rechnungsjahr 1922/23 mit
68 Millionen Franken und 327 Millionen
Mark auf beiden Seiten balancierte. Das
Gesamtbild ergibt: Der Haushalt des Jahres
1923/24 iſt stark paſſiv. Eiſenbahn und
Post schlechte Einnahmen, großes Defizit.
Ausfall der Kohlensteuer durch Herabſetzung
des Steuersatzes 15 Millionen. Zu bemerken
bleibt noch, daß die Besoldung der Mit-
glieder der Regierungskommission 550 000
Franken kostet. (Für jedes Mitglied 100 000
Franken jährlich und für den Präſidenten
§§ Cilretc jest. ?Mrr 12200 Kr
Zentralverwaltung der Regierung 5!4 Mil-
lionen Franken, erwähnt werden Beloh-
nungen für „besondere Dienſtleiſtungen“,
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„Bekämpfung des Verbrechertums“ kehrt
im Etat mehrfach wieder, auch „Vigilanz-
gelder“ sind vermerkt.
Im ganzen kostet die Verwaltung des
Saargebiets durch die Regierungskommiſ-
ſion nicht weniger wie 7,3 Millionen
Franken. Die direkten Steuern ſind ver-
anſschlagt: Einkommen- und Leohnſteuer
18 Millionen Franken, Vermögensſteuer
2 Millionen Franken, Umsatiſteuer 6 Mil-
lionen Franken. Die indirekten Steuern
ſchliezken ab mit 57 Millionen Franken,
wovon 30 Millionen Franken Kohlenſteuer.
(Ein Irrtum ist es, zu glauben, die Kohlen-
ſteuer werde vom französiſchen Staate als
Besitzer der Saargruben getragen, sie wird
vielmehr von den Kohlen kaufenden Kun-
den und Verbrauchern in allen Absatz-
ländern, alſo auch im Saargebiet, getragen.
Die Presse fragt, wo im Etat die Steuer-
zahlung des französſiſchen Staates ver-
bucht sei.)
Die Kohlensteuer 1923/24 iſt mit 30
Millionen Frank en veranſchlagt.
Die Kohlensteuer wurde ab 1. April 1921
von 20 Proz. auf 10 Prog. vermindert.
Dieſer Satz blieb beſtehen bis 1. Auguſt
1922. Die Steuer hat also während des
Rechnungsjahres 1921/22 10 Proz. der Ver-
kaufspreiſe der Förderung betragen. Er -
g e b nis 53 Millionen Frangken.
Ab 1. August 1922 bis 31. Januar 1923
betrug der herabgesetzte Steuersatz 714 Proz.
Beim Voranſchlag wird für das ganze
Rechnungsjahr damit gerechnet. Ergee b -
nis 44 Millionen Franten,
a l ſo neun Millionen Franken
w e ni g e r als im Vorjahr. Ab 1. Februar
1923 wurde die Kohlensteuer auf 5 Proz.
herabgeſez. Er g eb nis 30 HYMil-
lionen Fr ank e n für das Rechnungs-
jahr 1922/23, alſo 14 Millionen Franken
weniger. Hätte man den Stleuerſatz der
Bergverwaltung nicht noch einmal um
212 Proz. herabgesetzt, ſo wären im Vor-
anschlag 45 Millionen Franken erschienen.
Präsident Rault tat diesen bedauerlichen
Schritt ohne Wissen des Ministers Waugh.
Aus dem, Haushalt des Saargebiets ſoll
hier noch angeführt werden, daß für den
fakultativen französischen Unterricht in den
Volksschulen 30 000 Franken übrig ſind
und zur Förderung des Turnwesens in den
Volksschulen sage und ſchreibe: Zwei-
hundert Franken.
Sept.: Oberberghauptmann v. Velsen, zwei
Jahrzehnte an der Spitze des Bergbaues
im Saargebiet, im Alter von 75 Jahren
in Zehlendorf bei Berlin gestorben.
Sept.: Konflikt in der Freien Bauernſchaft.
Sept.: Der Völkerbund ernennt den kana-
diſchen Major George Waſhington S te -
p h ens zum NMitglied der Regierungs-
kommission des Saargebiets an Stelle des
Miniſters Waugh. (Stephens, 1866 in
Montreal geboren, war bisher Präsident
der Hafenkommission in Montreal.)
Wieder eine Auswei ung. Gene-
ralſekretär Gorzel ausgewiesen unter . der
bekannten Wendung „wegen Gefährdung
der öffentlichen Sicherheit“.
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