Full text: 1925 (0003)

Saarkalender für das Jahr 1925 
urteilung! Und trotz der eingehenden gutachtlichen Ablehnung und Verurteilung durch |) 
die berufenen wirtſchaftlichen und Fachverbände. Zum Teil erſparte ſich die Regierungz- 
kommission überhaupt das Befragen. 
Nein, Genf konnte unmöglich über diese Sachlage genau unterrichtet ſein. Genf: 
Völkerbund, d. i. Völk erb und s v erſ’am m lung, uad Völk erbundsrat. 
Immerhin noch zwei verſchiedene Dinge. Damals auf alle Fälle! Wo zudem die Völker- 
bundsversſammlung vor den Taten des Völkerbundsrats noch gelegentlich verſchämt ein 
Auge zudrückte. Freiſprechen von Schuld kann die Saarbevölkerung den Völkerbunds- 
rat, wenigstens in seiner früheren Zuſammenſetzung, aicht (man denke z. B. nur an die 
Stellungnahme auf das Schreiben des Herrn v. Boch). Trotzdem aber muß man zugeben, 
daß seine Delegierten, oder wenigstens die meisten von ihnen sehr wenig von den 
tatſächlichen Verhältnissen im Saargebiet wußten. Mir bekannt gewordene private Aeuße- 
ruagen früherer Völkerbundsratsmitglieder bestätigen das auch. Völlige Ahn un g s- 
los i gk eit mußte vor allen im allg em ein en Kreife der Völk erbunds- 
d ele giert en herrſchen. Sonst hätte nicht gerade noch eine solche prominente 
Persſönlichkeit wie Lord Ro bert Cecil, dieſer prächtige idealistische Vertreter des 
wahren Völkerbundsgedankens, in jener Völkerbundsversſammlung von September/Oktober 
1921 — kurz vor der Ankunft der Delegation der ſaarländiſchen Bevölkerung – der Saar- 
regieruag öffentlich den Dank für ihre Tätigkeit aussprechen und das Saargebiet den 
„Einzigen Aktivposten“ des Völkerbundes nennen können. ,Den einzigen Aktivpoſten“, 
es klingt wirklich wie grausamer Hohn, aber leider erwähne ich eine Tatsache. Auch der 
kanadische Delegierte Doherty ergina sich in der Plenarſitung der Völkerbundsversſamm- 
[ung damals in Lobeshymnen über „die Verwaltungsarbeit“ im Saargebiet. 
Wie konnte eine ſolche Auffassung aufkommen? Gerade deshalb iſt der Völkerbund- 
rat von Schuld nicht freizuſprechen, weil er sich ausſchließlich, und das sogar mit voller 
Absicht, aus den Berichten der Saarregierung unterrichtete. 
In diese Sachlage hinein traf die erſte Delegation, die die Saarbevölkerung nach Genf 
entsandte. Sie war beauftragt von sämtlichen polit iſchen Parteien und den 
Wirtſchaftskreiſen – den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen von 
Induſtrie und Handel – und bestand aus Vertretern all dieſer Kreiſe. Nicht teilnahmen 
die von dem bestochenen Waltz „verwalzten“ Kommunisten. Man wird nun verstehen, 
_ warum die Führer am allerwenigſten ſich ein Hehl daraus machten, daß es sich um ein 
Wagnis handelte. Man war ſich hier auch durchaus klar über die ſtarke Stellung 
Frankreichs im Völkerbunde. Man war ſich weiter klar, daß man bei dem in der 
Hauptsache aus früheren Feinden .beſtehenden Völkerbunde nicht von vornherein auf 
eine brüderliche Atmosphäre stoßen würde. Die Saarbevölkerung heaqte auch keinerlei 
Zweifel, daß ihre Delegation schon vor ihrer Ankunft in Genf den Völkerbundsvertretern 
als eine sozusagen „von rechtsrheinisch organisierte“ Hetztruppe, die mit der eigentlichen 
braven Bevölkerung gar nichts zu tun hätte, gekennzeichnet worden war. Das geflügelte | 
Wort ,„Pſseudo-Delegation“ wurde damals in die Welt hinausgeſchleudert. 
'So war denn mit der Ankunft der Saarländiſchen Delegation in Genf noch das 
wenigste geſchaffea. An Ort und Stelle selbſt galt es erſkt – wie man mir wohl jetzt 
zugeben wird , ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden. 
Und ich kann mich wohl noch jenes Augenblicks erinnern, wo die Delegations- 
mitglieder ~ der Verfasser war als Zeitungsmann beigegeben ~ in ihrem Hotelkonferenz- 
zimmer in Genf zuſammensaßen und so ungefähr die Köpfe Hänge. ließen. Die 
gewaltigſten Anstrengungen, endloſe Verſuche, raſtloſe Arbeit hatten nichts gefruchtet, 
ein hochwichtiges Empfehlungsſchreiben traf nicht ein – das die künſtlich geſchaffenen 
Nebel um uns wenigstens etwas zerſtreuen sollte: „Die Türen blieben verſchloſſen, von 
den Herzen zu schweigen. Kurz: Man war am Ende der Kraft und = hatte nichts 
erreicht . . . Es war einer jener Augenblicke im Einzel- wie im Gemeinſchaftsleben, wo 
alle physiſche und anscheinend auch alle pſychiſche Kraft für eine Sache verbraucht iſt - 
jd gos o No peueiht dennoch entscheidet, ob die Sache und ihre Ver- 
reter e i n d. 
„Und da war es einer der Herren, der ſonſt eher zu den Stilleren, Zurückhaltenden 
gehört ~ um Namen handelt es ſich ia hier nicht -, der das erlöſende Wort’ ſprah 
und wohl damit den Ausdruck fand für das, was ſchließlich allen doch noch im Grunde 
der §e!![ f lebendig war: Trotz allem bleiben, weiter mühea, bis etwas 
rre i e i ! 
Und ſiehe da! Von diesem Augenblicke an wandte sich das Blatt, und der 
Delegation ward der Si eg. 
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