Saarkalender für das Jahr 1924.
Ein delphiſcher Spruch. Ein Bekannter ſchreibt: Delphiſche Orakelsprüche mit ihrer bekannten
Zweideutigkeit gibt es noch heute, – wenigstens sind sie in Saarbrücken noch im Schwange.
Beweis folgender: Am Fenster meines Schuhmachers hängt ein Schild mit der Aufschrift: „Auf
kleine Reparaturen kann man warten.“ Ich hatte es aber nicht so eilig, ließ meinen schwarzen
Patienten in den Händen des Meisters und erkundigte mich acht Tage ſpäter nach ſeinem
Befinden. „Kommen Sie man nach ään paar Tagen, dann ſind sie fertig!“ Als ich dann auf den
Pappendeckel am Fenſter mit der ermunternden Aufschrift hinweise, setzt der Meifter seine Brille
auf die Nasenspitze, liest sein geschriebenes Versprechen und meint: „Tja, tja, da steht doch druff,
auf Reparaturen kann man warten, na, das iſt doch deitlich g'nug! Warten Sie man en paar
Tage, Sie kriegen ſchon Ihre Stiefel noch!“
Der unglücklich Glückliche. Als der alte Schneider-Schneider zum erſten Male in der Lotterie
gewonnen hatte, ſchwang er sich vom Bock und kehrte nicht eher mehr zu ihm zurück, bis er das
Geld bis auf einen kleinen Rest durch die stets trockene Gurgel gejagt hatte. Dann arbeitete
er wieder, genau so, als sei nichts vorgefallen, ſpielte auch wieder wie früher sein Anteil in der
Lotterie und, was keinem andern ſo leicht paſſiert: gewann zum zweiten Male. Aber, was
andern das Hkrz höher ſchlagen läßt, der aus gewonnenen Erfahrungen Nutzen geſchöpft hat,
das machte ihn traurig. Trübſelig, ein Häuflein Unglück, saß er auf seinem Schneidertiſch und
schaute wehmütig in das Papier, das ihm die Nachricht übermittelt hatte. Dann kraute er ſich
das schon etwas durchmäuſelte Haar, ſchüttelte kläglich sein weiſes Haupt, rutschte dann von
ſeinem Brett und knawwerte ergeben: „Das is zum Doordigwerre! Geht das Luderlewe widder
vun voore anl“ r
Die alten Jagdſtiefel und die ſstädtiſche Hypothek. Man ſchreibt uns: Die Entwertung der Mark
ſchuf tieftraurige, manchmal seltſame, bisweilen aber auch Situationen, die einer Komik nicht ent-
behren. Zeit der Handlung November 1922. Ich finde beim Aufräumen der Bodenkammer ein
Paar längst vergesſſene, uralte, allerdings einmal wenig getragene Jagdſtiefel. Beſte Friedens
orbeit. Auf dem Wege zu meinem Schuhmacher, dieſe Erinnerung an bessere Zeiten zu verkaufen,
wird mir ein Zettel in die Hand gedrückt, der mir erzählt, die Stadt Saarbrücken müſse die
Hypothekenzinsen aus so und sovielen Gründen beträchtlich erhöhen. Wer nicht damit einverstanden
sei, könne bis Neujahr seine Hypothek ohne Kündigung zurückzahlen. 18 000 Mark zurückzahlen!
Hm, hm! Wovon? Der Dalles iſt chroniſch geworden. Verdrießlich ſuche ich meinen Schuhmacher
auf. Der Meister bewundert das Schaftleder der Stiefel, „bedrückt“ sie hin und her und meint
schließlich: „Na, weil Sie's ſind, gebe ich 18 000 Mark.“ Angenommen, Geld eingeſteckt, ins
Rathaus, Hypothek ausgezahlt, Quittung eingesteckt – Sache erledigt. Zu Hauſe Staunen und
Freude, alle Kinder wie aus einem Munde: „Unser Vater iſt ein kluger Mann!“
Das kluge Peterchen. Es hatte „Glatteis geregnet“; darum dauerte es lange, bis der Lehrer
seine Schäflein in der Klasse verſammelt hatte. Zuletzt kam das Peterchen angetrottet. „Aber
Peter“, ſagt vorwurfsvoll der Lehrer, „wo haſt du denn so lange gesteckt?“ „Herr Lehrer“, erwiderte
der Kleine wichtig, „i konnt net eher da sein. Es iſt so. glatt; wenn i e i n e n Schritt vorwärts-
getan, bin i z we i zurückgerutscht.“ „O geh, Peterchen“, wendet ungläubig der Lehrer ein, „das
kann doch nicht gut stimmen. Du biſt doch nun einmal hier; wenn's aber so gewesen wäre, wie
du sagst, könnteſt du doch überhaupt nicht hier ſein.“ Die Logik des Lehrers leuchtet Peterchen
ein. „Herr Lehrer“, ruft er triumphierend, und ſeine pfiffigen Augen schauen diesen heraus-
fordernd an, „Herr Lehrer, i hab mi halt umdreht!“
Warum stets grollen und klagen, Voran! Und Wollen ſei Müſſen
J)
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Es hat keinen Zweck; Zu jeder Zeit;
Nur friſch an's Ringen und Wagen, In allen Kümmernissen (S
Das hilft drüber weg ! Zu ſcherzen bereit! §
Wie ſchwer auch Scheiden und Meiden; Dies Büchlein will es Dir ſagen : J
Von Sorgen gequält, Soviel daran fehlt; 2
Empfinde noch Lachen im Leiden :. Auch hier nach sorgenden Tagen:. §
„Di’ Bir’ is geſ ch älttnn. „Di' Bir’ is geſchält!“*) B
A. z. [(E
e)
*) Saarl. Redensart, ſoviel wie: etwas iſt erledigt; auch in übertragenem Sinne : Etwas iſt überwunden.
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