Saarfalender für das Jahr 1923
Abſchied.
Aus den Snarbildern von Liesbeth Dill
Das alles würde ſie nie wiederſehen ...
Die Anlagen, in denen die Büſche [Hon
anfingen, grün zu werden und weiß, die
hohen Berggärten, die ſich ſchon mit einem
roſa Schimmer bedeckt hatten und auf die
jet der kalte, Frühlingsvegen herabging,
die Saar, die wild und aufgeregt vorüber-
trieb, vom» Wind überfegt, und alle die
Werke dort, die dunſtumfloſſen und rauch-
verhüllt wie aus einem leichten Nebel auf-
tauchten, jenſeits der großen eiſernen
Brücke, die das Landſchaftsbild jäh dur-
ſ<nitt. Sie hatte ſich immer über dieſe
dumme Brücke geärgert .. heute war ihr's,
als ob ſie ihr fehlen würds, wenn ſie ſie nich?
mehr ſah, die alte Brücke .. und die ragen-
den Schornſteine, deren Rauh der Wind
in großen wehenden Wolken über die Dächer
trieb, wie" flalternde Trauerſchleier .. Alle
die Türmchen, zierlich und graublau
ſHimmernd mit ihrem blanken Scdiefer-
vach, die ſteinernen Putten auf dem Dach-
ſims mit ihren lockigen Köpfchen, die eh<-
würdigen Apoſtel in ihren wallenden
Bärten, und die graziöſen Teichtfüßigen
Göttinnen, an deren flatternden Gewändern
das Regenwaſſer herabvamn .. es ſah aus,
als weinten ſie alle unter dieſem grauen
Himmel, der über dem Lande hing. .
Kein ſchönes Wetter, um Abſchied zu
nehmen. Wer der alten Dame zugeſehen
hätte, wie ſie geſchäftig hin und hergeht in
ihrem großen Wohnzimmer, um die letzten
Schubfächer ausguräumen, hätte geglaubt,
zaß ſie ſich darauf freue, fortzukommen,
denn ihre Hände hatten eine etwas nervöſe
Haſt, mit der ſie das Letzte ordnete und ver-
ſ<Gloß .. . Es war kalt in der ſonſt ſo gemüt-
lihen Wohnung. Der freundliche „Ameri-
kaner“ brannte nicht mehr. Die Kohlen
waren ausgegangen, und das Mädchen hatte
ſie bereits geſtern entlaſſen...
Jhren Freunden hatte ſie geſagt, ſie reiſte
erſt morgen . .. Sie wollte allein ſein, an
dieſem lezten Tag, von niemand Abſchied
nehmen ...
Seit der Entſc<luß ſich in ihr befeſtigt
hatte, mit dem ſie lange gerungen, hatte ſie
ſo viel zu tun gehabt, daß ſie zum Nach-
denken nicht mehr gekommen war. Und das
war gut ſo... Nie hätte ſie geglaubt, daß
fie noh einmal ihre Heimat verlaſſen
würde, ihx Haus zurücklaſſen mit den alten
Möbeln und allem, was ſie umgeben hatte
ſeit fünfzig Jahren . .. Sie hatte ſich davor
geſträubt, als man ihr von drüben ſchrieb,
von . rehtsrheiniſc<, komm doh zu uns, wir
habens doh viel beſſer...“ Ja das mochte
ſeim, daß ſie es leichter hatten, dort drüben,
die wußten nicht, was es heißt, Saarländer
ſein . .. jezt. Sie hatte den Krieg und die
Fliegerkämpfe ausgehalten, hatte Nächte in
den kalten Kellern zugebracht, wähvend in
der Nachbarſchaft die Fenſterſcheiben auf
die Straße klirrten und die Bomben ein"
ſ<lugen. Keinen Augenblick wäre ihr der
Gedanke gekommen, fortzugehen aus der
Heimat, in der man feſtgewurzelt war ,..
in der man geboren war, ſeins Freunde,
ſeine Familie hatte und ſeine Gräber...
Aber der Franc hat ſie entwurzelt... Seit
die Fremden das Land überſchwemmt, die
Häuſer beſeßt, die Kaſernen und einen Teil
der Bevölkerung den Franken gegeben
haben, hat eine Teuerung eingeſetzt, die
jurtbar iſt. 820 Mark der Zentner Kar“
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