Saarfalender für das Jahr 1923
der, als die Abtei aufgelöſt wurde, noc lange nicht ſo in dem Umfange, wie ihn der erſte Plan
vorſah, vollendet war, aber dur< den merkwürdigen Umſtand ſic auszeichnet, daß trotz des Stil-
wechſels man hier einmal niht daran dachte, von dem erſten Plane abzuweichen, ſondern bis zum
Schluſſe, bis in die Seit des Klaſſizismus hinein in den wuchtig frühen, durc den Sachſen Kretſchmar
einmal angegebenen Formen, was die Außenarditektur anbetrifft, wenigſtens völlig weiterbaute und
jo jein einheitliches Werk zuſtande brachte, in dem no<h im Vollgefühl ſeiner Kraft das große
deutſche Barok ſiegreich ſic brüſtet. Diel mag zu dieſer plangemäßen Weiterführung der Umſtand
beigetragen haben, daß der Architekt ſelbſt bis in die fünfziger Jahre hinein das Bauweſen leitete;
er wohnte in dem benachbarten Merzig, das als größerer Ort mehr Annehmlichkeiten bot, und
dort tritt er uns noh oft in den Kirhenbühern der katholiſchen Gemeinde entgegen und wird
nod) im Jahre 1755 genannt, in welchem Jahre ihn der Mettlacher Abt Joſeph Meusnier (1751--1768)
beauftragt, den Bau am Mettlac<her Relterhaus zu Wiltingen genannt „Rauhaus“ Zu erſtellen. --
Ob Kretſhmar ſpäter wieder nac Sachſen. zurückkehrte oder wo er ſich hinwandte, konnte ich
bieher nim ermitteln; in den Merziger Kirhenbühern verſchwindet jedenfalls der Name nah
ieſer Seit. --
Von ſeinen Unterarbeitern, die ihn au in der ſpäteren Bauzeit der Abtei unterſtützten, ſind mir
nur einige wenige bekannt geworden. Dor allem nennen uns die Kirhenregiſter hier eine Anzahl
von Tirolern und fränkiſchen Steinmetzen, während ſie uns über die eigentlihen künſtleriſchen
Kräfte, die Bildhauer und Stukkatoren, völlig im Dunkeln laſſen. --
Während im Innern des Baues, bis zu dem unglücklichen Brande wenigſtens, mancher beachtens-
werte Reſt in vorzüglicher Erhaltung auf uns gekommen war, der von der Kunſtfertigkeit der
lezteren zu erzählen wußte, ſo künden uns die ſehr reichen Bildhauerarbeiten des Äußern, daß wir
es hier nicht mit ſo ganz erſtklaſſigen Künſtlern zu tun hatten; die Arbeiten dieſer Bildhauer halten
jedenfalls nict einen Dergleic) mit denen ihrer ſpäteren Kollegen an kurtrieriſhen von Seiz ver-
anlaßten Bauwerken aus, hinter deren geiſtreicher Lebendigkeit ſie weit zurückſtehen.
Der Geſamtoriginalgrundriß iſt im Beſige der Familie von Boh in Mettlach erhalten, aus dem
wir erſehen, in welcher Ausdehnung der Abt von Roeler und ſein Architekt das Werk geplant
hatten. Don ſpäterer Hand ſind die wirkli zur Ausführung gelangten Bauteile ſchraffiert. Wir
ſehen hier, daß die ungeheueren, nach dem Projekt auf der 102 Meter Tiefe bei 50 Meter Breite an-
gelegten Hof umgebenden Bauten wirklich zur Ausführung gelangten, der aber jetzt in ſeiner ſicher
einſt überaus monumentalen Wirkung durd) die Einbauten der Keramiſ<hen Sabrik, die der Bau
heute beherbergt, ganz geſchädigt iſt. Kad Süden ſollte ſi an ihn ein quadratiſcher Ureuzgäng
anſchließen, der einen mit Springbrunnen und geradlinigen Anlagen gezierten Gartenraum zu um-
ſpannen beſtimmt war. Mit ihm wieder verbunden war am Südende des Palaſtes dem Riſſe nach
die Abteikir<e geplant, die niht zur Ausführung kam. - Sie war als Rreuzanlage gedacht, die
ſich ſowohl in der Gliederung der Wände und der Derbindung des Turmes mit der Faſſade eng
mit St. Paulin in Trier und der Abteikirhe von Himmerod in der Eifel verwandt erweiſt. =
Ihre ſchmale Sront mit den Portaltüren ſollte ſie wie der Palaſt- na; dem Sluſſe wenden. =-
Hinter Kirche und Kreuzgang ſollte ſich ein prächtiger, wieder von Waſſerkünſten belebter Garten
anlehnen, deſſen drei Hauptachſen von Pavillonbauten beſchloſſen gedacht waren.
Dieſer grandioſe Plan zeigt uns ſo recht einmal, zu welchen unerhörten Anſtrengungen ſich auch
die Kleineren geiſtlichen Herren in dieſem baufreudigſten Jahrhundert hinreißen ließen und als ein
jolher typiſcher, von der allgemeinen Baumanie und Runſtfreude beſonders no<h angeſtekter Herr
tritt uns der Abt von. Koeler entgegen, der dur<h dieſe Seilen hoffentlih wie auh ſein genialer
Architekt und der beiden pomphaftes Werk der unverdienten Vergeſſenheit immer mehr entriſſen
jein möge.
Die drei weitvorſpringenden Pavillons, von denen der mittlere beſonders weit vorgezogen iſt
und in ſeiner prunkenden, bewegten Architektur in den Rheinlanden ſeinesgleichen ſucht, geben in
Derbindung mit den in gleihmäßigem Reichtum gegliederten Geſchoſſen der Swiſchenbauten trotz der
ausgedehnten Srontlänge von 112 Metern dem Werke eine wundervoll rhythmiſche Entſchiedenheit,
mit der es im angenehmen Gegenſatze zu den Uurtrierer Palait-Shöpfungen der Reumann-Seizſchen
Richtung ſteht.
Aud im Hofe dieſelbe verſhwenderiſche Ausſtattung in reich bearbeitetem Sandſteinmaterial, deſſen
bildneriſche Auszierungen nicht des- ſittengeſchihtlic<en Intereſſes entbehren. Hier ſind beſonders
die Shlußſteine der im Korbbogen geſchloſſenen Senſter merkwürdig. Sie ſtellen im Erdgeſc<hoß
männliche Köpfe und Srazen von Rroaten, Negern, Juden, Bauern und Handwerkern dar, im
oberen StoKe aber ſonderbarerweiſe die Bevölkerung eines oder vielmehr zweier Seraile. Die
Mitte der Senſterreihe des einen Slügels iſt dur; den behaglichen Kopf eines Paſchas in den
beſten Jahren geziert, an welchen, über den zu beiden Seiten folgenden Fenſtern, ſeine Odalisken
bis zum Rindesalter abnehmend, ſi< anſchließen, während die Shlußſteine des anderen Flügels
ähnlich belebt werden, jedoM mit dem Unterſchiede, daß die Mitte einen kahlen, mit vier Hörnern
beſetzten alten Mannskopf einnimmt, von dem ſeine Frauen abgewandt nach dem andern Slügel
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