Full text: 1923 (0001)

Saarfalender für das Jahr 1923 
Die Glaginduſtrie im Sanrgebiet. 
Die geſchihtliche Entwicklung der 
Glasinduſtrie des Saarreviers war 
bisher nahezu ein Buch mit ſieben 
Siegeln. Gutgläubig wurden JIrr- 
tümer jeder Art von Generation zu 
Generation getragen und gingen 
ſchließlich als Tatſachen auch in 
Schriftwerke über. Bei der hohen 
Bedeutung dieſes Zweiges der 
Saarinduſtrie, die vor dem Kriege 
allein in der Fenſterglasproduktion 
20.--25 Prozent der geſamten 
deutſchen Erzeugung lieferte, blieb 
es ſehr bedauerlich, über den Werde- 
gang des Ganzen nichts zuverläſſiges 
zu wiſſen. Jezt hat ein junzer 
Forſcher in einem mit unendlicher 
Geduld betriebenen Studium volle 
Klarheit auf dieſem Gebiete ge- 
ſchaffen. Durc<h liebenswürdiges Ent- 
gegenkommen iſt zu meiner Freude 
als erſter der Soarkalender in der 
glücklichen Lage, die Oeffentlichkeit 
von den intereſſanten Ergebniſſen 
jener wiſſenſchaftlichen Forſchung zu 
unterrichten. A. Z. 
Durch den Friedensvertrag von Verſailles 
ſind die deutſchen Grenzgebiete in den 
Vordergrund des allgemeinen Intereſſes 
gerückt. Dies gilt ganz beſonders von dem 
Saargebiet, das durch obigen Vertrag auf 
fünfzehn Jahre von ſeinem Mutterland los- 
geriſſen und dem Bölkerbund zur BVer- 
waltung übergeben worden iſt. Durch die 
Eingliederung des Saargebietes im das 
franzöſiſ<e Zollſyſtem ſteht beſonders die 
Induſtrie dieſer Gegend vor einer ſchwierigen 
Lage, da ſie gezwungen iſt, ſich jo gut wie 
möglich in das franzöſiſche Wirtſchaftsſyſtem 
einzugliedern. Wenn nun von der Induſtrie 
des Saargebietes geſprochen wird, denkt man 
meiſtens an den Kohlenbergbau und an die 
Eiſeninduſtrie. Nur wenigen it die ge: 
ſh "Ihtliche Entwicklung und die heutige Be- 
deutung der Glasinduſtrie des Saarreviers 
bekannt. Mit dieſem Induſtriezweig etwas 
näher bekannt zu werden, ſei der Zweck der 
folgenden Zeilen. 
Die Glasinduſtrie des Saargebietes iſt 
lothringiſchen Urſprungs, woſelbſt ſchon im 
15. Jahrhundert Glashütten beſtanden. Im 
Jahre 1616 erhielt der lothrinaiſche Gentil- 
homme-verrier (Glasadlige) Jacque de Titry 
und ſeine Frau Jeanne, geb. de Conds 'die 
Erlaubnis, auf dem Bann von Ludweiler eine 
Glashütte zu erbauen. Zehn Jahre ſpäter 
wurde ſie durch Daniel von Conds nach dem 
heutigen Ort Wikhelmsbrunn verlegt. Sie 
ſtellte Bierglas, Kelche uſw. her. Die Hütte 
ging ſchon im Laufe des 30jährigen Krivezes 
-ein. In ver zweiten Hälfte des 17. Jahr- 
hunderts (um 1660) wurde die Klarenthaler 
Glashütte vom Grafen Guſtav Adolf von 
Naſſau-Saarbrücken gegründet, die aber 
ſchon 1723 einging. Unter den erſten Glas- 
madchern dieſer Hütte begegnen uns unter 
anderem ſchon die Namen Huber, Reppert, 
Kramer uſw., die wir ſpäter auf andern 
Hütten wiederfinden. Zu gleicher Zeit be- 
ſtand auch in Werbeln eine Glashütte, die 
aber ſchon 1705 abgebrannt ſein ſoll. Zwei 
Jahre ſpäter wurde von den Gebr. Stenger 
und einigen andern eine Glashütte an der 
Lauterbach errichtet. Wahrſcheinlich ging ſie 
um 1770 wieder ein. Nicht weit von der 
Lauterbah gründeten 1717 Georg Wentzel, 
Peter 'Kauffelt und Valentin Strauß im 
Warndtwald bei St. Nicolas eine Spiegel- 
glashütte, aus der der Ort Karlsbrunn ent- 
ſtand. Im Jahre 1723 ging dieſe Hütte an 
die Gebr. Georg und Adam Reppert - und 
Martin Kramer von. ber ſtillgelegten 
Klarenthaler 'Glashütte über. In den erſten 
Jahren der franzöſiſchen Revolution kam ſie 
zum Stilliegen. 
Die bis jetzt genannten Glashütten liegen 
alle auf dem linken Ufer der Saar, in !'dem 
Warndtwalde, der das Brennmaterial zu 
dem Betrieb der Glashütten lieferte. Eine 
andere Gruppe von Glashütten lag auf dem 
rechten Ufer der Saar, im Sulzbachtal, in 
und bei Friedrichsthal. Im leßtgenannten Ort 
haben im Jahre 1723 auf Veranlaſſung des 
Grafen von Naſſau-Saarbrücken die Gebr. 
Gerhard und Martin Wentzel und Adolf 
Eberhard eine Glashütte errichtet. Die 
Gründung dieſer Hütte iſt von beſonderer 
Bedeutung, da die Hütte ſich bis auf den 
heutigen Tag erhalten hat. Sie entſtand zu 
der Zeit, als der Merkantilismus noh in 
Blüte ſtand, d. h. jene wirtſc<haftspolitiſche 
Zeit, in der der Staat mit allen möglichen 
Mitteln Handel und Jnduſtrie zu fördern 
ſuchte. Auch die Friedrichsthaler Glashütte 
erhielt eine Reihe von Privilegien (Land-, 
Holz3-,  Kohlen-" und Steuerprivilegien), die 
zum Teil erſt Ende des 18. Jahrhunderts 
abgelöſt würden. "Was gerade das Land- 
privileg anlangt, ſo hat Dr. Lauer in ſeinem 
Buch über: „Die Glasinduſtrie im Saar- 
gebiet“ eine bedeutſame Feſtſtellung gemacht. 
Wenn man noch: vor- einigen Jahrzehnten 
den Lageplan: der Gemeinde Friedrichsthal 
anſah, ſo mußte man etwas ſtutzig werden, 
weil “faſt der ganze Bann im Beſitz der 
Glasfabrikanten Wenßel, Reppert und 
Schmidtborn war. Aus den Reihen der Ein- 
wohner "hört man nicht ſelten die Behaup- 
tung „in der franzöſiſchen Revolution-:ange- 
eignet!“, von ſeiten . einiger Fabrikanten 
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