Saarfalender für das Jahr 1923
Der Sulzbacher Valentin und der Heilgehilfe. Bei einem Bergarbeiterſtreik wird Militär auf-
geboten, um „etwaige Unruhen“ zu unterdrücken, ſelbſtverſtändlich ruht jeht de3 Sulzbacher Muſiker3
Valentin Kohlenfuhrwerk. Und er wäre wenigſtens dadurch einmal zu wohlverdienten Ruheſtunden
in ſeinem arbeitsreichen Leben gekommen, hätte ihn nicht das Verhängnis gerade um dieſe Zeit mit
einem hohlen Zahn ereilt. Weil es aber Leute gibt, die von hohlen Zähnen leben, ging Valentin zu
einem befannten Barbier, der gleichzeitig geprüfter Heilgehilfe war und als ſolcher Zähne zog und
ſeine Mitmenſchen ſchröpfte. Nun hatte aber gerade dieſer „Balwierer“ die üble Eigenſchaft, zu ſeinen
jc<hmerzerfüllten Patienten noch allerlei narkotiſierende Reden3arten zu machen. Er glaubte ſie dadurch
eben zwe>mäßig über das irdiſche Leid hinwegzutäuſchen. „Sie machen ja ein Geſicht wie ein Regen-
wurm, wenn's blißt" oder „Sie ſchauen ebenſo drein wie ein Affe, der erfahren hat, daß Sie von ihm
abſtammen“, waren beliebte Einleitungen, wenn der Balwierer die Zange anſetzte. Als er gar Valtins
Zähne ſah, meinte er: „Aber Valtin, da ſieht es ja bald aus wie in einer Wüſte.“ =- Doch der
Valtin beſaß auch Stolz genug zu entgegnen: „So was kann aach nur e Kameel entdecke, wie du
ens beſht!“ -- Die Antwort durfte ihm der Zahnkünſtler der voraufgegangenen groben Anrede
wegen natürlich nicht verübeln, und er lenkte gleich ein: „Soll ich den Zahn ſchmerzlos ziehen, das
koſtet allerdings 8 Groſchen mehr.“ Valtin: „Was foſcht's dann mett Schmerze?" =- „Ei, fünſ
Groſchen.“ =- „Dann zieh mer liewer mett Schmerze!“ -- Was3 tut ein armer Menſch nicht alles,
um 8 Groſchen zu ſparen, da er weiß, wie hart ſie zu verdienen ſind. E38 iſt doch ein tapferer Mann,
wer ſo dem Schifal die Zähne zeigt und ſie ihm gleich ganz überläßt. Al3 nach dem „harten Aus8zug“
der Balwierer noh einige Reden verlor und Valentin um Neuigkeiten anging, die in einer Barbier-
ſtube dauernder Ergänzung bedürfen, berichtete der Patient, daß unter dem aufgebotenen Militär
große Aufregung herrſche, weil unter den Bergleuten „die Ruhe“ aus8gebrochen ſei.
Ein Vater iſt aut, wenn er gerecht iſt. Valentin, der in der Muſikantengaſſe zu Sulzbach
wohnte, hatte außer ſeinen anſtrengenden Beruf8- auch Vater- und Erziehungspflichten. Was
tut ein guter Vater, wenn das heranwachſende Kind ſchon auf den „Bergmann3baal“ (früher
das volkstümliche Bergfeſt im Saargebiet) will ? =- Der Valentin wird nicht böſe und nicht froh,
jagt nur: „Mach', was de nett loſſe kannſ<t!“ Es wäre nun gefehlt, in dieſen Worten
nicht größere Weisheit zu vermuten, als in langatmigen AuSeinanderſezungen. Als nämlich die
zweite Frage hinzutrat: „Ei Vadda, dann gäwwe m'r aach Geld!" -- ſprach Valentin
ebenjo gelaſjen ein zweite3 Vaterwort: „Dann loß, wa3 de nett mache kannſ<t!“
„Ebbes aus'm Stall.“ Als Dr. Ewh hier vor etwa 30 Jahren ſeine Praxis aufnahm, wurde
während einer ſtark auftretenden Grippeepidemie durch ſtürmiſches Läuten der Nachtglo>e geweckt.
Er tritt ans Fenſter, und es entſpinnt ſich folgendes Zwiegeſpräch: „Wer iſt da?" „„Ei, ich!“ „Was
for ich?“ „„Na, ich, Meierſch Kat<e!“"“ „Was for Meierſch?“ „„Jeſſe3, Herr Dokter, kenne Se denn
nimmeh Meierſch aus der Ewwergaſſ'?““ „Was is denn los?“ „„Unſer Herr is ſchwer krank, er
hat de Strichel““ (Striegel, Geſchirr zum Pferdepußzen). Der Doktor ärgerlich: „Ach, das iſt ja Unſinn,
er wird auch wohl die Grippe haben!" „„Richtig““, ruft das Mädchen, „„Krippe, Krippe, das iſt's, ich
hann doch gewißt, daß e3 ebbe8 aus'm Stall i8!"“
„Einſt ſpielt' ich mit Szepter ..:-
Um das Jahr 1830 kam zu dem Pächter des Furpacher Hofes bei Neunkirchen, Ludwig Schneider,
no<h regelmäßig nach dem Verſchwinden der Fürſten eine alte, vom Zahn der Zeit übel zugerichtete
und ebenſo mit des Lebens Nöten kämpfende Frau „Eleonore von Bernau“. Der ebenſo liebenswürdige
als mildtätige Schneider ließ ſein Auge einmal beſonders lange auf der Almoſenempfängerin ruhen,
als ſie dem Hofpächter gleichſam entſchuldigend in das Spiel ſeiner Gedanken eingriff: „Ja, ja, Herr
Sqhucider, älter wird man, nur nicht wieder ſchön. Als mich Fürſt Ludwig liebte, ſah ich allerdings
anders aus8!“
Eine wahre Geſchichte aus der guten alten Zeit. Der alte P. war ein fleißiger Spaziergänger, denn
er gehörte auch zu der jeßt ausgeſtorbenen Zunft der Sangehanner Schbreewe. In ſeinen jüngeren
Jahren machte er einmal mit ſeinem Schwager einen Ausflug nach Dingwirt.*) Dort beſtellte
man ſich e Brokkel,**) die man ſich vortrefflich munden ließ. Aber die Portion war doch zu groß,
als daß man ſie ewälligen konnte. So gab es denn beim Zahlen der Zeche folgende Abrech-
nung: Der Haawe Brokkel 2 Sous (= 8 Pfennige), hiervon die Hälfte verzehrt = 1 Sous.
die dann prompt bezahlt wurde.
*) Dingwirt = St. Ingbert. **) E Brokkel beſtand in einem Milhtopf mit etwa 5 Shoppen Inhalt.
164