Full text: 1.1923 (0001)

Saarfalender für das Jahr 1923 
Stimmen, die nur 0,02%, betrugen, wurden dadurch allerdings noch um das Doppelte übertroffen. 
Aber mit der Abſtimmung war es noch nicht zu Ende. Es wurde der Verſuch gemacht, einige 
Teile des Saargebietes zu zerſplittern. Im Kreiſe Saarlouis hatten 86 Perſonen, die in den 
0,02 ?/6 enthalten ſind, für Frankreich geſtimmt. Es wurde der ſtaunenden Welt verkündet, daß 
dadurch der glühende Wunſch des ganzen Kreiſes, Frankreich anzugehören, offenbar geworden 
ſei, und daß dieje Franzoſen nicht mehr unter das preußiſche Joch zurückfommen dürften. Aber 
auch dieſer Grund, der dur< Profeſſor Wieſe, Maurice Barres und andere „unparteiiſche 
Franzoſen“ durch die Darlegung der ruhmreichen Geſchichte von Saarlouis noch unterſtrichen 
wurde, ſchlug nicht durch, das Recht ſiegte über die Gewalt. 
Ein letzter Verſuch einiger Agenten, mit Hilfe der Garniſon die franzöſiſche Flagge mit Gewalt 
zu hiſſen, ſchlug ebenfalls fehl. Die Flaggen wurden ſo ſchnell entfernt, daß die Garniſon erſt 
gar nicht eingreifen konnte, ein- erneuter Verſuch ſcheiterte an der Wachſamkeit der Bevölkerung, 
die alle wichtigen Stellen dauernd beobachtete und bewachte. Für diejenigen, die es noch nicht 
wiſſen ſollten, ſei hier noch geſagt, daß die Garniſon nicht die im Vertrag von Verſailles be- 
zeichnete ſaarländiſche Polizeitruppe war, ſondern eine franzöſiſche Beſatzung, die entgegen dem 
Vertrage ſich bei uns aufhielt. 
Dann kam endlich der Tag der Entſcheidung! Deutſchland hatte mit Hilfe eines internationalen 
Konſortiums die Saargruben übernommen, obwohl die Gruben ſtark abgewirtſchaftet waren. 
Die Befürchtung, daß gemäß dem Verſailler Vertrag die Rückkehr nach Deutſchland an dem 
Umſtand ſcheitern könne, daß Deutſchland nicht in der Lage ſei, die Kohlengruben zurückzukaufen, 
war. nun hinfällig geworden, der Jubel kannte keine Grenzen. 
Der Tag des Flaggenwechſels folgte! An Stelle der Trikolore flatterte wieder das ReichSbanner. 
Die preußiſchen und bayeriſchen Farben, als ſaarländiſche Farben vereint geweſen, wehten wieder 
als Preußen- und Bayerufahnen getrennt über den Dächern. 
Die Mitglieder der Regierungskommiſſion kehrten in ihre Länder zurück, das ſaarländiſche 
Mitglied zog ſich auf ſeine belgiſchen Beſitztümer zurück. Ein Aufatmen war's! Ueber 17 Jahre 
unter fremder Herrſchaft und .nun wieder deutſch, deutſch für immer! 
Man ſprach noc< viel von ſeinen Erlebniſſen. Herr Frei erzählte, wie er von franzöſiſchen 
Gendarmen aus dem Schlaf geholt und auf einem Laſtauto mit vielen Leiden8genoſſen nach der 
Grenze geſchafft wurde, warum, wußte er ſelbſt nicht. Herr Angſtmaier wußte ſogar noch von der 
Zeit, da man zu Oberſt Stuhl gegangen war und er wußte . nicht genug von deſſen liebens- 
würdigen Verſprechungen zu erzählen. Herr Lepetit aus Saarlouis konnte ſogar noch von dem 
mißglückten Einzug der Franzoſen in Saarlouis berichten, und der Profeſſor Zeitig verglich immer 
wieder den Einzug de3 deutſchen Vertreters, der ins Saargebiet zurückkehrte, mit dem früheren 
Einzug der Regierungskommiſſion im Jahre 1920. Jetzt die Menſchen mit den freudeſtrahlenden 
Geſichtern und feſttäglichen Kleidern und damals die ſchwarzen Truppen auf der Bahnhofſtraße. 
Die Bevölkerung in gedrückter Stimmung. Nur Herr Geſinnungstüchtig konnte ſich nicht mehr 
ſo recht erinnern, aber es 'war ihm ſichtlich peinlich, wenn ihn Frei und die anderen darauf auf- 
merfiam machten, daß er ſich =- natürlich nur aus wirtſchaftlichen Geſichtspunkten -- für den 
Franken und für den franzöſiſchen Sprachunterricht eingeſebt hatte. Doppelt peinlich waren 
ihm dieſe Erinnerungen, weil er ſich ſchon zweimal um eine Stelle in der Redaktion des „Deutſchen 
Saarländers", ſo heißt ja bekanntlich jekt der frühere „Neue Saarkurier“, beworben hatte. 
Die Feſttage der Wiedervereinigung ſind nun vorüber, aber allenthalben regt ſich noch die 
Freude und ſie kommt immer wieder zum Ausbruch. Aber ihr ſoll auch äußerlich Ausdruck 
verliehen werden. Die Saarländer zeigen ſich jedoch als rechte Deutſche, es entſteht gleich 
wieder Uneinigkeit, wie dieſe Freude und der Dank zum Ausdru> gebracht werden ſoll, 
Herr Rot hat vorgeſchlagen, ſeinen Parteiführern ein -Denkmal zu ſeen. Herr Schwarz und 
Herr Blau ſind der Meinung, daß größerer Dank noch anderen gebühre. . 
Eine Anzahl Bürger war der Anſicht, das Denkmal müſſe Frankreich geſeßt werden, da ſeine 
Not und Elend bringende Saarpolitik am meiſten für das Deutſchtum an der Saar getan habe. 
Der Streit nahm ſchon bedrohliche Formen an, man wollte ſchon demonſtrieren und einen Streik 
einlegen. Aber nachdem in ſtürmiſcher Sizung die Meinungen aufeinandergeplaßt waren, erhob 
ſich einer, dem auch ein Denkmal gebührt hätte, denn er hatte wie keiner gelitten, als die 
Regierung gegen den Willen der Bevölkerung den franzöſiſchen Franken einführte, ein armer 
Sozialrentner. Schmerzlich bewegt rief er aus: „17 Jahre war't ihr einig, nur ein gemeinſames 
Ziel gab's, unſer Vaterland, Tauſende haben dafür gelitten, tauſende gekämpft und geſtritten, 
jollen tauſende ohne Denkmal bleiben ? Gewiß haben wir viele beſonders leuchtende Beiſpiele 
geſehen, aber hat nicht jeder ſeine Pflicht getan, der Mann im Arbeitsro> und in der Screib- 
ſtube und unſere Frauen und Mütter, waren nicht ſie es, die uns ermahnten und aneiferten, 
wenn wir zu verzagen drohten ? Wem von allen gebührt das größte Lob, gebührt der größte 
Dank ? -- Wer will es entſcheiden ? 
Wie Schuppen fiel's ihnen allen von den Augen, und die Redner von vorher vergaßen alles, 
was ſie geſagt, und begeiſtert ſtimmten ſie ein: 
„Das Denkmal gebührt dem treuen Saarvolk in Seiner Gesamtheit!“ 
und der Brave ſchloß: „und seinem deutschen Vaterland!“ 
R mmm | 
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