Saarfalender für das Jahr 1923
volk in ſeiner geſchloſſenen Geſamtheit in dieſer Zeit voll Not und Gefahren nicht gezögert hat, ſich
zu ſeiner echt deutſchen' Geſinnung zu bekennen; mutvoll und mannhaft hält es troß allem feſt in
deutſcher Treue zum Vaterland. Und wenn dieſer Geiſt ſich durch die wirtſchaftlichen Wirren und
Beeinfluſſungen, die man uns troß Völkerrecht und Demofratie auferlegt, ſich ſieghaft erhält, wenn
man die dereinſtige Volksabſtimmung ſich wirklich frei entfalten läßt und nicht unterdrückt, ſo ſind
heute ſchon alle der feſten Ueberzeugung, daß das Jahr 1935 den jubelnden Tag der Wiede- vereinigung
mit dem deutſchen Vaterlande bringen wird, an dem alle Hoffnungen und Wünſche zur weſtlichen Orien-
tierung der deutſchen Volksſeele an der Saar zerſchellen werden.
Bis dahin fließt noc< ſo manches Waſſer die Saar hinab der Moſel zu und vereinigt ſich mit dem
deutſchen Strome, dem Vater Rhein, den Zug des deutſchen Saarherzens verſinnbildlichend. Bis dahin
wird ſich auch, ſo erhofft und erſehnt es das Saarrevier, die Entgiftung der Seelen unter dem Ein-
druck der Wiederverſtändigung der Völker, die beſſer im Frieden leben, als ſich im Unfrieden zu zer-
ſtören, vollzogen haben, ſodaß die Völkergerechtigkeit dem Saarlande nicht mehr ſtreitig machen wird,
worauf es gerechten Anjpruch hat: dem Zuge ſeiner Seele zu folgen und zum Vaterlande zurückzukehren,
ehe das Jahr der Abſtimmung herannaht. So mag denn dieſe Hoffnung alles abſchließen, was an
Schwerem hinter uns liegt und auch die Zukunft überſchattet. Wenden wir uns jezt der Gegenwart
zu, die uns neben dem ſchönen und tröſtlichen Bilde der Treue zum Reiche aber auch die Schatten
zeigt, die der Krieg und ſeine Folgen in die Seelen der Menſchen ſenkt.
Und unter dieſem Einfluß hat ſich auch das Bild des Lebens und Treibens 'in unſerer lieben Stadt
Saarbrücken - ganz weſentlich verändert. Sicher nicht zu ihrem Vorteil, das darf der gewiſſenhafte
Chroniſt nicht verſchweigen. Saarbrücken war ja ſhon vor dem Kriege nicht der Ort, wo man mit
den Hühnern die nächtliche Ruheſtatt aufzuſuchen pflegte, aber die alte bürgerliche Soutidität bildete
doch die. Grundlage in dem Weſenszuge der Saarländer.“ Sie verkriecht ſich aber heute in das
beſcheidene Heim der Markempfänger, die ihr kümmerliches Leben nicht in den Schaukaſten hängen,
ſondern, ſo lauge es irgend geht, Not und Sorgen vor dem Nachbar verbergen.
Not und Elend hat bisher jeder Krieg im Gefolge gehabt, und wie zum Ausgleich eine über-
ſchäumende Vergnügungsſucht, die nicht nach dem nächſten Tage fragt, ſondern nach dem Saße lebt:
„Rach uns die Sintflut!“ Wie der Weltkrieg jedes bi8her gekannte Ausmaß überſchritt, ſo ſtiegen
auch dieſe Auswüchſe ins Gigantiſche, und bei uns in Saarbrücken nahmen ſie groteske Formen an.
Wir bildeten hier 'mit das berüchtigte Loch im Weſten. Dem fremden Militär ſtrömte eine haushohe
Welle fremdländiſcher Textilwaren nach, von denen Deutſchland in der langen Zeit des Krieges ſo
gut wie entblößt war. Saarhrücken erlebte ſeine erſte „Blüte“ als Stapelplaß einer Schiebergilde.
Die deutſche Grenze ſtand offen, und Stoffe, Schokolade, parfümierte Seifen, Zigaretten und alles, was
ſich ſonſt ſchieben und verſchieben ließ, kollerte durch das Loch hindurch! Um den erſten Waggon
dieſer Waren riſſen ſich die Händker! Hei! War das ein Geſchäft, das zögernd ſich an die erſten
Umſaßmillionen wagte, mit dem ſicheren Abſaß und Gewinn aber fabelhaft in die Höhe ging. Wo
das Aas iſt, ſammeln ſich die Geier! Die Gilde der Schieber, die ſchon im Kriege nach der Maxime
„Geſchäft iſt Geſchäft“ am Marke des Volkes gezehrt hatten, hier fanden ſie neuen Honig, ihre Waben
zu füllen, ſich ohne ernſte Arbeit mühelos zu bereichern. Schnell kamen auch die Genoſſen über die
Vogeſen gezogen, um hier auf den Verbindungspoſten zu ziehen. In -den Wirtſchaften machten ſich
die Schieber breit, denn an Geld fehlte es ihnen ja nicht. Mit Spe fängt man bekanntlich Mäuſe,
und ein politiſcher Schachzug war es vielleicht, das im Kriege „entfettete Saarland“ mit Spe> über
die franzöſiſche Grenze zu verſorgen. Aber es war nicht einmal franzöſiſcher Spe, er ſtammte von
amerikaniſchen Schweinen. Auch war er ſchon etwas anrüchig. Das aber war es wohl, was wieder
die Schiebergilde anzog, auch hieran ihren Rebbach . zu machen. Alſo wurde er reichlich verſchoben
ntit gutem Nußen.. „Schieberia“ lautete der klangvolle Titel, den unſere gute Stadt der Schiebergilde
verdankt, und die Kaiſerſtraße verwandelte ſich in die „Kattungaſſe“, da ſich hier bald eine „Engros-
Firma“ neben der anderen häuslich niederließ.
Der bunte Wirbeltanz wurde noch wirrer, als der Franken ſich gleißneriſch in den Verkehr einſchob.
Die „Franken brachten uns den Franken“, uns „zu gewinnen waren die Gedanken!“ Zwar wehrten
wir uns heftig dagegen bis zum äußerſten, denn der erhöhten Kaufkraft folgen blizichnell die Waren-
preiſe, kurz, Frankfen-Brot iſt Markempfänger Not.. Die Bergwerksdirektion, die in die Hände des
franzöſiſchen Staates übergegangen war, führte ihn zunächſt als Lohn für die Bergleute ein. Und
unter dem Drucke von Verſailles ſank die Mark, aber der Frank ſtieg, und nun begann die Saar-
Regierung, eingeſeßt zur Förderung. des Wohles der Saarbevölkerung, ihr Spiel mit den beiden
Währungen. Was Saarbrücken“ da erlebte, bildet ein Kapitel ſür ſich. Den Bergleuten in der
Frankenlöhnung folgten: die Arbeiter der Schwerinduſtrie. Jhren Beamten und Arbeitern gab die
Regierung den Franken, und immer breiter wurde das Frankenbett. Damit begann das ſchwankende
Kursſpiel ſeine Wellen bis in die Kreiſe der Familien zu tragen. Die einfachſte Frau bekam plößlich
ein feines Gefühl für die Stimmungen der Börſe. Zhr erſter Blik galt dem Frankenkurs, um nur
nicht einen Punkt beim Umtauſch der Franken einzubüßen. Die Jagd nach dem Kurs begann. „Was
fümmert ſie Haus, was kümmert ſie Kind, ſie muß wiſſen, wie hoch die Franken ſind!“ Und ſo ergoß
ſich ein Strom von Frankenwechſlern und -Schiebern nach Saarbrücken, um Umſchau nach den Kurs-
zetteln der Banken zu halten. Dieweil mochte zu Hauſe alle3 drunter und drüber gehen, dex Mann
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