Saarkalender für das Jahr 1923
- -WEKENMINEN
Unjere Heimat birgt nun ein vollſtändig unerforſchte3, in allen Teilen neues Lebensgebiet in
ſich. Es ſind dies die unterirdiſchen Wetterſümpfe und Sumpfſtre>en, zum Teil Sammelherde
ſichlagender Wetter, in den Kohlengruben, die ein ungemein reiches, bisher unbekanntes Leben
örganiſcher Formen aufweiſen. Der Einfluß der Umwelt iſt hier geradezu ſonnenklar erſichtlich
an den wunderlichen Bewohnern dieſer Grubengewäſſer. Durch dieſes, zum Teil biSher völlig
unbekannte, zum Teil ſtark veränderte Tiermaterial werden alte Geſeke beſtätigt, neue Probleme
in Angriff genommen, erforſcht und bewieſen.
Sie müſſen ſic vor allem immer wieder das neue Milieu vor Augen halten: die Gewäſſer
in den Wetterſümpfen ſind durchdrungen und dur<htränkt von vielen Gaſen,. Oxydation3- und
Zerſezungsprodukten (Methan, homologe Kohlenwaſſerſtoffe, Fettſäuren uſw.) Das ſpezifiſche
Gewicht iſt verändert, es herrſchen da unten auch andere Druckverhältniſſe, und das Leben
ſpendende Licht mit all ſeinen Reizeinwirkungen fehlt. Das ewige Dunkel allein ſchon übt eine
eigenartige Wirkung auf all die kleinen Bewohner der Wetterſümpfe aus. Sie ſind weiß und
durchſcheinend. Als Lichterſatz haben ſich kleine Organe herausgebildet, zahlloſe Wimperchen am
ganzen Körper, die auch das Shwimmen und leichteres Fühlen er-
möglichen. Feinde, wie etwa Fiſche, ſind hier völlig ausgeſchloſſen,
ſodaß unjere Gruben die niederen Lebeweſen gewiſſermaßen der
Wiſſenſchaft als Reinkulturen auf dem Präſentierbrett dar-
bieten. Unter ſolchen Bedingungen ſetzt die Arbeit ein. Der
Biologe unterſucht die unterirdiſchen Tierformen, er läßt ſie
ſogar mit der gleichen Art, die aber Oberflächen-Bewohner ſind,
Verbindungen eingehen, auch Baſtardierung, und beobachtet
„, | deren Nachkommen. Auf dieſe Weiſe trägt er zur Aufklärung
Gamiann O. Betie 880 Meter Met des ſchwerſten Kapitels der Naturwiſſenſchaft, der Artbildung
)Spleillumb) Beggiatora Die Begglatora« 11h der Artänderung bei.
Die- Zeiten der theoretiſchen Entwiklungslehre (Darwin, Hä>kel, Weismann) ſind heute von der
experimentellen Genetik abgelöſt. Es gibt im Reiche des Lebendigen nur wenige labile (leicht
veränderliche) Formen, Tiere oder Pflanzen, bei denen eine Veränderung durch irgendeinen
äußeren Einfluß für uns im Laufe relativ kurzer Zeiten bemerkbar iſt. Jm Pflanzenreich nur
das Löwenmaul, deſſen Erforſchung Prof. Baur - Berlin betrieben hat. Von Tieren gehören
hierher 2--3 Inſektenarten, vor allem die Waſſerflöhe, erforſcht von dem großen deutſchen
Genetiker, Prof. Woltere>-Leipzig. Eine der labilſten Organiſation3pläne weiſen die Kyklops-
arten auf in den zahlloſen Zähnchen, Borſten und Wimperchen, die ſich, beſonders in den Wetter-
fümpfen, leicht verändern. Vererbungstechniſchen Fragen ſind damit die Wege geebnet; ſie
bilden, fo f<ließt Herr Ziegelmayer, mein bejonderes Forſchungsgebiet.
Der Vortrag, aus dem ich hier natürlich nur die markanteſten und zum Verſtändnis der
folgenden Zeilen notwendigſten Stellen angeführt habe, iſt beendet. Mit den Worten: „Und
nun darf ich Sie wohl mit einigen meiner Schützlinge bekannt machen“, gehen wir zu den
mikroſkopiſchen Apparaten. „Es war für mich ſelbſt erſtaunlich", ſagt Herr Ziegelmayer, „daß
da unten, o,t 800 Meter tief in der Erde, das Leben jeinen Sieges8zug fortgeſetzt hat. Aber
das Erkennen, wie dieſe Tiere ihre Exiſtenz friſten, war ein neues Wunder. Man denke ſich, daß
dieſe Lebeweſen, die man meiſt oft erſt bei zweitauſendfa<her Vergrößerung erbliken kann, ohne
jeden Sauerſtoff leben, denn er iſt, wie die Unterſuchung ergibt, in dem fauliggiftigen Waſſer
vollſtändig geſ<wunden.“
Neben anderen lebensfeindlichen Gaſen iſt das Schwefelwaſſerſtoffgas8, das jeder vom Geruche
fauler Eier her kennt, eines der giftigſten im Grubenſchlamm. Daß es nun Lebeweſen gibt, welche
den Stoff des hölliſchen Geſtanks ſogar freſſen und nur davon leben, bleibt ein Rätſel. Es ſind
dies die Schwefelbakterien. I< ſehe ſie im Mikroſkop ruhelos mit zwei Geißeln (Schwänzchen)
ſteuernd, in toller Haſt durch das Waſſer ſauſen (ſiehe Bild 1) und ihre Nahrung, das teufliſche
Gas, ſuchen. Nicht genug damit! Wenn ſie ihr appetitliches Mahl durch ihre unendlich kleine
Körverwändchen aufgenommen haben, ſetzen ſie da8 Ga3 in der Zelle, (ihrem „Körper“), in
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