Full text: 1923 (0001)

Saarfkalender für das Jahr 1923 
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Rückkehr ſuchte ich ihn auf und traf ihn bei einer Arbeit über ſeine Saargruben-Forſchungen 
für den biologiſch-limmnologiſchen Weltkongreß in Kiel. 
Bald plaudern wir miteinander wie zwei gute Bekannte. Er erzählt mir in der allen kennt- 
niSreichen Männern der Wiſſenſchaft beſcheidenen Art von ſeinem Werdegang und ſeinem Hoch- 
ziel, der deutſchen Wiſſenſchaft zu leben. Was oft in jahrzehntelanger angeſtrengter Arbeit den 
deutſchen Gelehrten nicht gelingt, ſich einen Namen zu verſchaffen =- die meiſten haben bekannt- 
lich, wie Heinrich Heine ſpitz bemerkt, keinen Namen -- hat er heute bereits erreicht. Dex geiſtig 
ſo regſame Saarländer ſieht gemeinhin in ſeiner akademiſchen Tätigkeit nach Anlage und Er- 
ziehung auf ein praktiſches Ziel. Ein Mann, der ſich aus unwiderſtehlicher innerer Neigung 
einer rein wiſſenſchaftlichen Tätigkeit widmet und darin ſeine volle Befriedigung findet, iſt hier 
an ſich eine ſeltene Erſcheinung. s Er wagt auch, namentlich unter den heutigen ſchwierigen Ver- 
hältniſſen viel, aber er arbeitet für uns alle, er kämpft den guten Kampf um Ruf und Ruhm 
deutſcher Wiſſenſchaft. Wir alle wollen uns daher unſeres ideal geſinnten Land8mannes freuen 
und ihm auch an dieſer Stelle für Streben und Erfolg unſere Glückwünſche ausſprechen. I< 
perſönlich habe noch die Freude, zuerſt von den neuen Lebenswundern in den Wetterſümpfen der 
Saargruben der deutſchen Öffentlichkeit erzählen zu können, denn bisher haben nur die Univerſitäts: 
profeſſoren der biologiſch-limnologiſchen Fachwiſſenſchaft Kenntnis davon erhalten. 
Meiner Bitte, das hydrobiologiſche Inſtitut beſuchen zu dürfen, folgte ſofort eine freundliche 
Einladung. Jc< betrete zur feſtgeſezten Stunde die geheimnisvollen Arbeitsräume, zwei größere, 
lichte Säle. Hunderte von Gläſern, Flaſchen, Schränke voll Chemikalien, überall Mikroſkope, 
mitfrophotographiſche und <emiſche Apparate. Auf den Tiſchen zuſtändige Literatur, Zuſchriften 
aus allen Ländern, ſelbſt aus Japan. I< treffe meinen Mentor bei der Beantwortung eines 
Schreibens von der Univerſität Saratow, in dem ein alter ruſſiſcher Profeſſor rührend über ſchwere 
Lebensmittelnot klagt. Er ſendet „dem jungen Freunde“ Forſchungöergebniſſe, gratuliert ihm 
zu ſeinen Erfolgen und freut ſich, auf dem Kieler Weltkongreß ſeine perſönliche Bekanntſchaft zu 
machen. Ähnliche lieben8würdige Briefe zweier italieniſcher Profeſſoren beweiſen mir zu meiner 
Freude ebenfalls, daß wenigſtens die Wiſſenſchaft das durch den Krieg zerriſſene Band neu ge- 
knüpft und den Wahnſinn des Völkerhaſſes begraben hat. 
Wir gehen an die „Arbeit“. J< bitte den Biologen, mir doch zunächſt ein kleines aufklärendes 
Privatiſſimum über das Gebiet ſeine3 Forſchens zu halten. Er lächelt und geht bereitwillig 
darauf ein. Mit dem „Forſchen“, erklärt er mir, hat es ſeine eigene Bewandtnis. Unſer Wiſſen 
iſt, wie ſchon Paulus ſagt, Stückwerk. Wir ſind in der Erkenntnis der brennendſten Fragen der 
ganzen Naturwiſſenſchaft, der Löſung des Lebensproblems und an zweiter Stelle des Problems 
der Artbildung noch weit vom Ziel. Aber wir hoffen, in der biologiſchen Wiſſenſchaft allmählich 
von gröberen zu feineren Jrrtümern fortzuſchreiten. 
Beobachten Sie Tiere und Pflanzen, ſo werden Sie bald erkennen, wie vortrefflich die ganze 
Körperſtruktur in ihrer geſamten Leiſtung und in all ihren Leben3äußerungen mit der Umgebung, 
mit der Umwelt übereinſtimmt. Der Organi8mus erweiſt ſich in dieſer Beziehung ſtet8 als 
vollfommen zweckmäßig für die Bedingung ſeines Daſeins konſtruiert. Die Außenwelt, die 
äußeren Faktoren, wirken als Reiz auf das Lebendige. Sie werden daher auch leicht einſehen, 
daß ein vielgebrauchtes Organ hohe Leiſtungen vollführt, auf der andern Seite der Nichtgebrauch 
notwendig Verkümmerungen hervorrufen muß. Auf dieſe Weiſe können die Fachleute die Um- 
wandlung, ſogar die Entſtehung der Arten verfolgen, und auch der Laie wird leicht einſehen, wie 
auf dem „Anpaſſung8wege“ eine rieſenhafte Maskerade unter den Lebeweſen entſtehen mußte. 
Die direkte Einwirkung der Umwelt, die daraus hervorgehende Anpaſſung an das Milieu bleibt 
beſtimmend für die Geſtaltung des Lebens. 
Um dieſen Einfluß auf Tiere und Pflanzen beweiſen zu können, gilt es für die moderne 
Biologie, eine Welt ausfindig zu machen, in der eineSteils für die Tiere eigenartig neue Lebens- 
bedingungen herrſchen, dazu aber wiederum die Anpaſſung an die beſondere Beſchaffenheit des 
neuen Leben3raumes innerhalb weniger Jahre und experimentell nachwei3bar bleibt, 
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