Full text: 1923 (0001)

Saarkalender für das Jahr 1923 
Neue LebenSwunder in den WetterSümpfen der Saargruben, 
v. A. Z. 
Kiegelalgen (Penicum, Gomphonema, Corroneis und 
Lygigonium, an den Seiten Staurastrum.) Aus dem 
Waldschacht der Grube Velsen. 
Sonnentierchen.In der Mitte Actinosphaerium, dessen 
Verwandte in einem Waldschacht der Grube Velsen 
zwigSchen Krughütte und Velsen leben. 
3 Saarrevier, inbeſondere die Kohlengruben, haben ſich ſeit hundert Jahren als 
ein dankbare3 Arbeitsfeld für wiſſenſchaftliche Forſchungen erwieſen. Von unſeren 
Gelehrten unbeachtet, unberührt blieb nur ein Gebiet und harrte ſtill - ſeines Ent- 
de>ers. Wie alles in unſerm Jnuduſtriezentrum erzählt es auch von einem harten 
Kampf um» Daſein, aber nicht in dem lärmenden, toſenden Brauſen des werktätigen Lebens, 
ſondern von einem Ringen in ewiger Nacht „tief unter der Erd'“. Eine wunderbare Mär, der 
ich als ungläubiger Thomas gegenüberſtand, bis mich der Augenſchein überzeugte, daß es auch 
außerhalb der Politik hier mehr Dinge gibt, als unſere Schulweisheit ſich träumen läßt. 
Auf dem neuen Gebiet =- wenn ich mich hier einmal bergmänniſch .ausdrücen darf =- den 
Stollen angeſchlagen und unter vielen Mühen bis zur vollen Ausbeute hinabgetrieben zu haben, 
iſt das Verdienſt eines jungen Forſcher3, Wilhelm Jiegelmayer, Saarbrücken 3. Seiner Tatkraft 
verdankt unſere Stadt das erſte, ſonſt nirgends vorhandene hydrobiologiſche Juſtitut zur Er- 
forſchung der Grubenwäſſer. Er hat es ans eigenen Mitteln geſchaffen und konnte es, wenn 
auch unter Sorgen und großen perſönlichen Opfern, in der Hoffnung auf baldige und kräftige 
Hilfe wenigſtens bis heute unterhalten. 
Selbſt Fachleute ſtanden zunächſt den in Angriff genommenen Arbeiten ſehr ſkeptiſch gegenüber. 
Wie konnte man denn auch in viel hundert Metern tief gelegenen, von giftigen, lebensfeindlichen 
Gaſen durchtränkten Wetterſümpfen, die des Sauerſtoffs entbehren, irgendwie lebende Weſen 
vermuten! Aber ein überraſchender, ans Wunderbare ſtreifender Erfolg, der in der fachwiſſen- 
ſchaftlichen Welt Aufſehen erregt, krönte die mit ebenſo viel Geduld wie Eifer durchgeführten 
Verſuche. W. Ziegelmayer hat in der Tiefe der Saargrubenſchäc<hte ein vollſtändig neues Lebens- 
gebiet und neue Lebensbildungen aufgede>t mit dem Ergebnis der Auffindung von Lebeweſen, 
die entweder ſtarke Variationen zu den bereits erforſchten aufweiſen oder bisher vollſtändig un: 
bekannt waren, u. a. eine Kyklopsart ohne Augengebilde, ein wunderliches Spiroſtomum-Gebilde, 
eine ganz ſeltſame Symbioſe (Lebensgemeinſc<haft von 2 verſchiedenen Tieren) uſw. Es ſind ſämt: 
lich Arten, die =- wer möchte es bisher geglaubt haben -- ihr Leben ohne Sauerſtoff zu friſten 
wiſſen. 
Die Univerſitäten aller Völker traten mit dem Saarbrücker Forſcher in Verbindung. Auf die 
Einladung des italieniſchen Staates weilte er zur Unterſuchung der unterirdiſchen Waſſertierwelt 
am Traſimener See und ſpäter in den Sc<hwefelgrüben bei Girgenti auf Sizilien. Nach ſeiner 
„titen 
100
	        
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