Saarfalender für das Jahr 1923
Brüſtet Eu nur, Shüßen und Huſaren, greift nur ſtramm ins alte S<ießeiſen, Saarbrücker
Bürgerwehr! Euer Hauptmann und die Damen haben ein ſtrenges Auge. Sreut Euch Eurer ſhmuden
Uniform, aber glaubt nicht, daß Ihr das Herz der Saarbrücker entzündet. Dieſes Herz gehört mir!
Wohl lauſcht Ihr, Bürger, Turner und Wehrleute, den ſtolzen Weiheworten Kardjers und Nöggeraths,
den „lieblihen Widmungen der Jungfrauen Shwall und Poſt. Aber als der Seſtprolog Eu<h in die
Herzen dringt:
„" * * So wird das Banner, das wir heut' Euch reichen,
Sür höhere Jdeen ein heilig Zeichen,
Nicht bloß ein Sammelpunkt der Scharen ſein! . . , “
da betteln Eure Blike um einen Gruß der Heckerfahne, um ein Blinzeln meines ſeidenen Ge-
wandes, das ſich luſtig im Winde wiegt, um ein Lächeln der roten Roſe, die der Löwe in ſeinen
Ulauen trägt.
Und es iſt re<t ſo: denn wo im Saartal wäre ein beſſeres Sinnbild unſerer Zeit, die nach
Sreiheit und Dolkstum ringt, wo wäre ein beſſeres Panier unſeres Strebens, als das Panier
des Hanauer Turnerbundes, dem meine Turner zugeſ<woren haben. Wißt ihr Bürger und
Wehrleute, was die Hanauer wollen? „Sie wollen Mitwächter ſein der wiedererrungenen
Sreiheit, ſie wollen eine bewaffnete Kette bilden, die, von gleichem Geiſte beſeelt, wenn es not tut,
ſic gemeinſam dem Dienſte fürs Vaterland widmet.“
Darum haben meine Turner mir das Sinnbild dieſes Strebens ausgeprägt:
e„He&erhut und Liktorenbündel zum Zeichen der Freiheit und Gerechtigkeit, Fa>el und Schwert
zum Zeichen der Wahrheit und der Wehrhaftigkeit, Eichenkranz und Turnerwahlſpruch zum Zeichen
der Körperſtählung in ſittliher Lebensauffaſſung.“
Wiederum '!verſank die Sahne in Träumen und Sinnen. Dann [packt die Erinnerung an die
zweite Turnſperre*) ihr Herz, und es tönte aus der alten Truhe:
„Was habe ich getan, warum verſtekt mi mein Träger, mein Sreund Serdinand Garelly, in
finſtere Eken ? Jſt es ein Verbrechen, freien Männern voranzuflattern, iſt es ein Verbrechen,
deutſ< und wahr zu ſein? Wehe denen, die uns wehren wollen, freie Deutſche und gute Deutſche
zu ſein. -- --
Und dann erzählte [die alte Fahne, wie man lin der Zeit [der Derfolgung ihr naz dem Leben
trachtete. Swar war es nicht der Säbel der Polizei =- doh laſſen wir ſie ſelbſt erzählen:
„IH ierwac<e nach langem Schlummer. Das Antlitz eines Mannes beugt [ſich über mich, [eine
Stimme ertönt, rauh und barſch, gleich der Poſaune des Gerichtes: I< werde aus meinem Derſtek
hervorgezerrt und auf dem großen Tiſch im Simmer ausgebreitet. Mit einem kantigen Sto> mißt
der Shreklihe mi< dann nac) Länge und Breite =- ich will ſchreien, denn ich fühle, daß 'mir
etwas geſchehen ſoll, daß mir Gefahr droht und ih mich niht wehren kann. Da geht 'die Türe
auf, und mein Schirmherr tritt ins Zimmer.
„Aber Bruder Sri, was willſt Du mit dem FSahnentu ?"
Der Mann mit dem kantigen Stock lat:
„Ha, Serdinand, Du weißt ja wohl ſo gut wie ich, daß die offizielle Reaktion und die offizielle
Dummheit den Hanauern auf dem Nacken ſit. Da wird's mit der Turnbündelei bald zu Ende ſein !-
„Leider haſt Du recht, Sri, aber was ſoll's mit dieſem Sahnentuch ?“
„Mit dieſem überflüſſig gewordenen Seidentuc) will ih mir ein blauſeidenes Gilet bauen laſſen,
wovon Du gütigſt jezt ſhon Notiz nehmen willſt!“
Wie ein Stich drang es mir ins Herz! Eine Weſte aus mir! Nimmermehr überlebe ih die Schande,
am Bauche einer Spreeb mein Daſein zu friſten. Aber tauſend Dank für Deine Worte, Ferdinand
Garelly, die Du zu jenem Manne- ſprahſt: „Baue Dir eine Weſte vom Rok des Shahs von Perſien,
dieſes Tuch iſt mir heilig, darum laß es ungeſchoren!" = = -
*) 1849-1860
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