Saarfalender für das Jahr 1923
Darum rief Jahn, verfolgt von den Häſchern der Staatsräſon und den Mordbuben der
Kommunarden zur Rettung auf, darum rauſhten in deutſchen Landen die Banner der Turner und
darum auh bekam Saarbrücken ſeine Hedckerfahne.
Wer's nicht glaubt, der laſſe ſi<'s von der alten Sahne ſelbſt erzählen. Um Mitternacht
ſchüttelt ſie .den Staub von ihrem Seidenkleide, und wenn zwölf dumpfe Glokenſ<hläge der
Ludwigskir<e ſi< in das Shwatzen und Murmeln der Barren und Böcke im großen Turnſaale
miſchen, da rauſht's und Kniſtert's in der ſtillen Eke, da lauſ<t der Beobachter mit verhaltenem
Atem jener ſeltſamen lautloſen Sprache, da plaudert das alte Banner vom Schickſal des Lebens
und der Dergänglichkeit des Daſeins.
Dod) laſſen wir die alte Sahne ſelbſt erzählen, wenn ſie aus tiefem Shlummer um Mitternacht
erwaht.
I< habe in ſtiller Stunde dem Liede gelauſ<ht, das aus vergangener Seit herüberkflang. Bald
ſjHmetternd und jauchzend, bald leiſe und wehmutsvoll, den Erinnerungen gleich, die das Herz der
Sahne bewegen. Aber wem es gelingt, Swieſpracqe um Mitternacht zu halten, der wird bald finden,
daß Jugendzauber und Jugendkraft trotz allen Sorgen des Alters ein Quell immerwährenden Glückes
bleiben. Denn alſo jauchzt die Sahne in ſtolzen Viſionen :
„Träume ich ! Wae ih! Iſt's Vergangenheit, Wirklichkeit? Hör' ich niht den Prediger deutſcher
Einheit ? Sehe im ni<t Eu<h, Turner von Saarbrücken und St. Johann, wie Ihr mich, Euer
Banner, in ſtolzem Suge dur< die Straßen führt ? Wie das Dolk jubelt, wie ſich Fenſter und
Türe öffnen, um mir Roſen und Liebe auf den Weg zu geben.
24. September 48, ich grüße dich! Bürger und Landleute, Soldaten und Wehrleute, Hinder, Männer
und Srauen der Saarſtädte, die ihr gekommen ſeid, meinen Ehrentag feſtlih zu begehen, ſeid
gegrüßt! Sdcwenkt Hüte und Müßgen, jauchzt und frohlokt, ſingt der Sreiheit Lied, das Lied der
Lieder.
In ſtolzer Ordnung zieht- ihr durch die Straßen der Dorſtadt, am hiſtoriſchen Shloß der naſſau-
ſjaarbrüker Sürſten vorbei ins Tal, über die alte Bogenbrücke, die, von Sremden einſt geſprengt,
ſpäter einen Erinnerungsſtein nac der Haſenheide ſandte.
Herzen auf, Saarbrüker! Denn die keke Shar mit dem Hedkerhute auf dem Ohr, angetan mit
dem rauhen Kleid der Turner, blumengeſ<müct und feſtesfroh, zieht zur Weihe des Banners, das
Saarbrücker Jungfrauen dem „Saarbrücker-St. Johanner Turnverein“ als Gabe der Treue geſpendet
haben. Und i< bin dieſes Banner. Seht Ihr mid flattern über den Köpfen der feſtlihen Menge,
blau und weiß in den köſtlichen Farben der Stadt ? Blau und weiß wie der Himmel, der ſonnen-
golden zur Erde lac<t ? "Blau und weiß wie die Schärpe Bürger Garellys, der mich in ſeinen
ſtarken Händen trägt? Blau und weiß -- behütet vom goldenen Löwen mit der roten Roſe?
Löwe und Roſe -- Kraft und Schönheit -- Saarbrücken und St. Johann!“
Die Sahne hielt, als ih ihr lauſchte, an dieſer Stelle inne, denn ſie gedachte wohl der Weihe-
ſtunden auf der Herrenwieſe an der alten Brücke, wo Serd. Garelly die Taufrede hielt.
Dann aber jauchzt ſie ſtürmiſch auf:
Ho; - - Ho<4 - - Hoh! Ja, hebt die Hände zum Shwur, - - für mi< - - für die
Sreiheit - - fürs Daterland! = = -
Sieh miHh nur an, tapferes Geſ<hleht! Tummelt Euch mir zu Ehren auf grünem Rajen.
Der Geiſt des Predigers der deutſchen Einheit iſt mit Euch! Wie er's gelehrt, jo wollt Ihrs halten:
„Wo keine Fahne iſt, da iſt keine Einigkeit, und wo keine Einigkeit, da iſt kein Vollbringen!“
Wiederum ſ<wieg die Fahne erſchüttert, dann fuhr ſie ſinnend fort: „Ein Hod für Daterland und
Sreiheit ! Klinge, herrlihſter Sahnengruß, klinge fort, denn wiederum iſt Seſttag heute. Sahnen und
Wimpel flattern in den Straßen, wieder ſtrömt das Dolk dur< die Gaſſen zu den Saarwieſen an
der alten Brücke. Dir gilt es, Shweſter von der Bürgerwehr, Dir gilt der 26. Oktober 1848, wie mir
der 24. September gegolten hat, und ich, als älteſte Fahne des Saartales will Dir als erſte gratulieren.
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