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Dem Fratemisierungsverbot der angloamerikanischen Streitkräfte standen die fran
zösischen Militärs eher skeptisch gegenüber, auch wenn General de Lattre de Tassi-
gny Ende April 1945 die Beachtung dieser Vorschriften anmahnte: II importe de
mettre immediatement un terme ä cette attitude qui traduit une faiblesse coupable
envers un peuple dont nous decouvrons chaque jour de nouvelles preuves de cruaute
ä l'egard de nos prisonniers 37 . General Bouley schlug im Juli 1945 vor, die gelten
den Regeln an die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort anzupassen, faire place ä des
regles moins strictes que celles suivies jusqu'ici qui ne correspondent plus ä
l'evolution actuelle de la Situation 38 .
Die Demokratisierung Deutschlands
Der in den angloamerikanischen Kreisen vorherrschende Optimismus über die Mög
lichkeiten einer "Reeducation" des deutschen Volkes wurde von den Vertretern des
negativen Deutschlandbildes nicht geteilt. Für eine erfolgreiche Sicherheitspolitik
wurden vielmehr ökonomische und militärisch-politische Maßnahmen für notwendig
erachtet. Dejean betrachtete Umerziehungsmaßnahmen nur als Beiwerk: Mais ces
mesures ne peuvent produire leur effet qu'ä longe echeance et ne seront pendant
longtemps qu'un element accessoire. Ce qui importe, pour plusieurs decades, c'est
mettre l'Allemagne hors d'etat de nuire, et ceci par des garanties d'ordre militaire et
economique 39
Auch im Kabinett des General Koenigs gab es Berater, die einer aktiven Demokrati
sierungspolitik wenig Bedeutung beimaßen. Einer von ihnen bemerkte, es käme vor
allem darauf an, die Deutschen zu kontrollieren und zu verwalten: Creer dans cha-
37 16re Armee Frang./EM/5e Bureau: Note de Service, 23.4.1945; AOFAA SEAAA 2 c.2669 p.4. Siehe
auch die Geschichte des Umerziehungsfilmes "Todesmühlen", mit dem versucht worden war, die Ver
brechen in den Konzentrationslagern der deutschen Öffentlichkeit bewußt zu machen: Chamberlin,
Brewster S.: "Todesmühlen". Ein früher Versuch zur Massen-"Umerziehung" im besetzten Deutsch
land 1945-1946, in: VfZ 29 (1981), S. 420-436.
38 Bouley, 24.7.1945 (Anm. 20). Auch General Billotte äußerte sich zur selben Zeit kritisch über den Sinn
dieses Verbotes: Les Fran^ais sont... peu dociles aux consignes de non-fratemisatiorv, GMRH: Gene
ral Billotte an Koenig, 29.7.1945; AOFAA CC POL III G 1 a, abgedruckt in: Quellen zur Geschichte
von Rheinland-Pfalz während der französischen Besatzung März 1945 bis August 1949/bearb. von
Peter Brommer. Mainz 1985 (zitiert: BROMMER), S. 38ff. Siehe auch: CCFA/CAB/C 1124: Laffon
an die Ddl6guds Supdrieurs, 1.2,1947; MAE Y 1944—49 d.439/272f. Im Juni 1950 meldete das Vertei
digungsministerium in Paris eine stark angestiegene Zahl von Heiratsgesuchen ehemaliger Besatzungs
soldaten mit deutschen oder österreichischen Frauen. Ursache war die allmähliche Reduzierung der Be
satzungstruppen und ihre Zurückbeorderung nach Frankreich. Der Hohe Kommissar Fran^ois-Pon^et
schlug vor, daß eine Einstufung der betreffenden weiblichen Person oder einer ihrer Eltern im Entnazi
fizierungsverfahren als "Hauptschuldige" oder "Belastete" zu einer Ablehnung des Heiratsgesuchs füh
ren müsse; bei Minderbelasteten sei eine ausführliche Untersuchung notwendig: Ddf.Nat./Secr. d'Etat
aux Forces Armees "Guerre" an das MAE/Europe (ä l'attention de M. Sauvagnargues), 15.6.1950;
HCAA/DGAP: Andre Francois-Poncet an den kommandierenden General der Besatzungstruppen in
Deutschland u. an MAE/Europe, 21.6. u. 7.7.1950; MAE Z EU/Allemagne 1949-1955 d.l94/95f u.
101 ff.
39 Dejean, 21.8.1944 (Anm. 7).