25
seinen Mangel an Taktgefühl und dem fehlenden Gefühl für das richtige Mittel: Der
Deutsche greife nach dem Größten oder falle ganz tief, wobei die deutsche Gründ
lichkeit diesen Effekt noch verstärke. Der Deutsche fühle sich nur in der Masse
wohl: II ne se realise jamais tout seul, il ne peut se realiser que dans son groupe.
Hinzu komme sein Gehorsamkeitsdrang und Machtkult. Siegfried betrachtete daher
das NS-Regime als die typische deutsche Staatsform: Apres Weimar, qui ne fut ja
mais populaire en Allemagne, l'hitlerisme continue et exagere les caracteristiques du
regime bismarckien. Nous y trouvons la me me armature rigide avec en plus un my-
sticisme naturiste transpose dans l’Etat totalitaire et qui est l'expression typique de
VAllemand. Seine Empfehlung für den Umgang mit dem besiegten Deutschland lau
tete demnach, daß die Besatzungsmacht mit Autorität und Strenge auftreten müsse;
jede Liberalität würde nur als Schwäche interpretiert werden. Vor allem aber könne
man nicht mit der Existenz eines "anderen Deutschland" rechnen: II nefaut donc pas
croire ä une distinction ent re lAllemagne nazie, condamnable, et une Allemagne qui
ne le serait pas ou ne le serait plus, et donc excusable. LAllemagne n'a pas resiste
au nazisme, eile ne resistera ä personne et obeira ä qui voudra l'entrainer 28 .
In der französischen Besatzungspolitik vor Ort wurde jedoch zwischen der kollekti
ven Verantwortung aller Deutschen für die nationalsozialistischen Verbrechen und
dem Kollektivschuldvorwurf unterschieden 29 . Laffon wies auf die Gefahren einer
Politik hin, die von einer homogenen, das ganze Volk einschließenden "national
sozialistischen Volksgemeinschaft" ausgehe und die Existenz antifaschistischer
Deutscher ignoriere: Si l'autorite franqaise ne connait qu'une sorte allemands, eile
risque de les avoir un jour tous contre eile, si eile sait distinguer ceux dont eile peut
esperer une collaboration sincere et si eile frappe sans faiblesse les tenants de
landen regime eile augmente ses chances de succes 30 .
Die Militärregierung sah sich bei der Durchführung ihrer Politik vor das Problem ge
stellt, "echte" Antifaschisten von den selbsternannten unterscheiden zu müssen. Mit
den demokratischen Kräften (les meilleurs des allemands) wollte man die neuen
deutschen Länder aufbauen und sie zugleich vor dem schädlichen Einfluß des Natio
nalsozialismus schützen. Die "anderen Deutschen" sollten für die Mitarbeit beim
28 Ebd. Diese an die angloamerikanische Kollektivschuldthese erinnernde Auffassung wurde auch in Ar
tikeln des Bulletin d’Information, das von der AMFA für die Besatzungstruppen herausgegeben wurde,
vertreten. Allerdings erschienen in dieser Zeitschrift auch Artikel, die sich differenzierter mit dem deut
schen Problem auseinandersetzten, zum Beispiel im April 1945 ein Aufsatz über den deutschen Wider
stand gegen Hitler: MMAA/AMFA: "Bulletin d'Information"; AOFAA DGAP c.1903 p.298. In der
französischen Öffentlichkeit war bei Kriegsende das alte Bild von den "boches" vorherrschend. Nur
eine Minderheit in der Bevölkerung war bereit, dieses Bild zu differenzieren. Yves Durand weist dar
auf hin, daß am ehesten noch ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die lange Jahre unter
dem NS-Regime in Deutschland hatten leben müssen, zwischen Deutschen und Nationalsozialisten
unterschieden; Durand, S. 42ff. u. 48ff.
29 Cahiers Fran^ais (siehe Einleitung, Anm. 1), hier 101. Als Beispiel für eine mehr ausgewogene Sicht
weise siehe auch die Broschüre: "Ce que tout Soldat doit savoir sur l'Allemagne", hrsg. vom G6n6ral
CSTO, o.O.u.J. (1947); AOFAA DGAP c. 1906 p.316.
30 Laffon, 20.8.1945 (Anm. 4). Auch bei Laffon war der Erfolg des Nationalsozialismus eine direkte
Folge des preußischen Einflusses auf die deutsche Geschichte - siehe auch seine Rolle bei den Auswei
sungen aus dem Saarland (falsche Einschätzung bei Grohnert, S. 58 u. 65).