278
der vorliegende Entwurf nicht angenommen werde - Baden-Baden sein eigenes Ge
setz durchsetzen werde. Süsterhenn sprach sich daher für die Annahme des Entwur
fes aus, da er immerhin besser als die gegenwärtig in Anwendung befindlichen Be
stimmungen sei. Er berücksichtige weitgehend die deutschen Wünsche. Der Minister
rat beschloß, den zweiten französischen Entwurf als Regierungsvorlage der BLV zur
Begutachtung vorzulegen 49 .
Auf zwei Sitzungen des Hauptausschusses am 1. und 11. April sowie einem Treffen
der Parteiführer mit der Militärregierung am 10. April 1947 wurden die strittigen
Punkte des neuen Entwurfes (BLV Drs. Nr. 8) diskutiert. Landgerichtsdirektor Rot
berg erklärte vor dem Hauptausschuß, daß trotz aller Nachteile die Regierung den
vorliegenden Entwurf als geeignete Grundlage einer endgültigen Beschlußfassung
ansehe 50 . Die Parteien waren jedoch zu keinen Zugeständnissen bereit. Bei der Mili
tärregierung stießen sie jedoch mit ihren Forderungen auf entschiedenen Wider
stand 51 . Am 10. April verabschiedete der Hauptausschuß eine Erklärung, der am sel
ben Tag von der BLV einstimmig zugestimmt wurde. Die Abgeordneten wiesen auf
ihren Entwurf vom 28. Februar 1947 hin, der am besten eine wirksame und gerechte
politische Säuberung gewährleiste. Der jetzt von der Militärregierung vorgelegte Ge
setzesentwurf bedeute zwar gegenüber dem bisherigen Verfahren eine verbesserte
Rechtssicherheit für die Betroffenen, bleibe aber hinter den Forderungen der Parteien
zurück. Die Erklärung nannte dabei ausdrücklich die Frage der Behandlung der Ju
gendlichen und die eingeschränkten Einspruchsmöglichkeiten: Die Landesver
sammlung hofft mit dem besonders in der Pfalz auf das tiefste beunruhigten Volk,
daß die Landesregierung baldigst die Säuberungsverordnung unter Berücksichtigung
der von der Landesversammlung aufgestellten Grundsätze verabschiedet 52 .
Ausführliche Zeitungsartikel machten den Konflikt publik. Die Erklärung der BLV
wurde wörtlich im "Neuen Mainzer Anzeiger" abgedruckt 53 . Auf der Ministerratssit
zung am 15. April 1947 berichtete Boden über sein Gespräch mit Hettier de Bois
lambert: Dieser habe ihm nicht nur den baldigen Erlaß einer Jugendamnestie, son
dern auch eines Sühnenachlasses für die nominellen Nationalsozialisten zugesagt,
damit sich die Spruchkammern auf die Fälle der Schuldigen konzentrieren könnten.
Für besonders krasse Fehlurteile, die aber nach dem Gesetz nicht einspruchsberech
tigt seien, werde die Staatskanzlei direkt mit dem Service Epuration verhandeln kön
49 Protokoll der Ministerratssitzung, 25.3.1947; LHA KO 700,155/62/219-223.
50 Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses am 1. April 1947 in Bad Kreuznach; AOFAA RP c.920
p.24 d.229 (französische Übersetzung), BLV/Brommer, S. 150-157 u. BLV Drs. Nr. 15.
51 An dem Treffen mit der Militärregierung nahmen auf deutscher Seite Hans Hoffmann (SPD), Peter
Altmeier, Ludwig Ritterspacher (beide CDP) und Herbert Müller (KPD) teil; GMRP/CAB: "Entretien
politique du 10.4.1947"; AOFAA RP c.901 p.8.
52 Protokoll der Sitzung des Hauptausschusses in Koblenz, 11.4.1947; AOFAA RP c.920 p.24 d.229,
BLV/Brommer, S. 158-162 u. BLV Drs. Nr. 15: Sitzungsprotokoll, 11.4.1947.
53 Gerechte Säuberung - ein schwieriges Problem, in: "Neuer Mainzer Anzeiger", 15.4.1947, S. lf;
"Pfälzische Volkszeitung", 15.4.1947, "Rheinzeitung”, 16.4.1947; AOFAA DGAP c.1896 p.243. Die
Radiosendung "Kommentar der Woche" befürwortete am 13. April die Annahme des neuen Entwurfes
und kritisierte die "Verantwortungslosigkeit" der politischen Parteien scharf: Nicht die Militärregie
rung, sondern der Nationalsozialismus sei der Feind der deutschen Demokratie und müsse bekämpft
werden; AOFAA RP c.920 p.24 d.229.