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bisher vernachlässigten Bereichen der Forschung gewidmet: der Entnazifizierung der
Privatwirtschaft und der Geistlichen sowie der Behandlung der Internierten. Die
zentrale Bedeutung, die die Kulturpolitik im Rahmen der französischen Demokrati
sierungsbemühungen spielte, ließ eine nähere Überprüfung der Situation im Erzie
hungswesen für angebracht erscheinen. Auf andere Maßnahmen, die im Zusammen
hang mit der Entnazifizierung zu sehen sind, wie die strafrechtliche Verfolgung der
Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschlichkeit 43 , die Sequestrierungen
in der Privatwirtschaft 44 und die Einschränkungen im Wahlrecht 45 konnte nicht näher
eingegangen werden.
Neben dem konkreten Ablauf der politischen Säuberungsmaßnahmen im Bereich der
heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland wurden insbesondere die
Handlungsspielräume der deutschen Verwaltungen unter den Bedingungen der fran
zösischen Besatzungsherrschaft untersucht 46 . Im Zentrum der Arbeit steht aber die
Frage nach der französischen Entnazifizierungspolitik und ihrem Stellenwert inner
halb der Besatzungspolitik. Hatte die französische Militärregierung tatsächlich nur
ein geringes Interesse an der Entfernung der Nationalsozialisten aus Verwaltung und
Wirtschaft? Suchte sie Sicherheit vor Deutschland nur durch wirtschaftliche Aus
beutung und territoriale Zugewinne zu erlangen oder vielmehr auch durch die Demo
kratisierung des deutschen Volkes? Nahm die französische Militärregierung ihre
Demokratisierungspolitik ernst oder betrieb sie nur eine "Politik des als ob"? Hatten
die französischen Dezentralisierungsforderungen den Effekt, daß jedes Land eine ei
43 Die Grundlage hierfür bildete das Kontrollratsgesetz Nr. 10. Hierzu: Broszat, Martin: Siegerjustiz oder
strafrechtliche "Selbstreinigung". Aspekte der Vergangenheitsbewältigung der deutschen Justiz wäh
rend der Besatzungszeit 1945-1949, in: VfZ 29 (1981), S. 477-544; Diestelkamp, Bernhard und Su
sanne Jung: Die Justiz in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik, in: APZ B 13-14/89
(24.3.1989), S. 19-29; Henkys, Reinhard: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte
und Gericht. Stuttgart 1964; Hey, Bernd: Die NS-Prozesse - Versuch einer juristischen Vergangen
heitsbewältigung, in: GWU 32 (1981), S. 331-362; Just-Dahlmann, Barbara und Helmut Just: Die Ge
hilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945. Frankfurt/Main 1988; RUckerl, Adalbert: NS-Verbre-
chen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung. Heidelberg 1982; Vergangenheitsbewäl
tigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland/hrsg. von Jürgen Weber
und Peter Steinbach. München 1984; Wieland, Günther: Ahndung von NS-Verbrechen in Ostdeutsch
land 1945 bis 1990, in: Neue Justiz 45 (1991), S. 49-52.
44 Dölle, Hans und Konrad Zweigert: Gesetz Nr. 52 über Sperre und Beaufsichtigung von Vermögen.
Kommentar. Stuttgart 1947; JO-CCFA Nr. 59/47 (6.3.1947), S. 586ff. (Fassung vom 3. März 1947).
Das SHAEF-Gesetz Nr. 52 darf nicht mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 52 verwechselt werden (so Groh-
nert, S. 25); letzteres behandelt Fragen des Eherechts ("Gesetz bezüglich der Änderung des Kontroll-
ratsgesetzes Nr. 16 - Ehegesetz", 21.4.1947; AB1-KR, S. 273).
45 Ordonnance Nr. 44, 28.5.1946, sur l'etablissement des listes electorales en vue des elections alleman-
des, und die dazugehörende Arrete Nr. 61, 29.5.1946, die eine Wahl-Ausschlußliste bestimmter Kate
gorien von Nationalsozialisten beinhaltet; JO-CCFA Nr. 26/46 (15.6.1946), S. 206-208 u. 213f.
46 Hierzu: Auerbach, Helmuth: Die politischen Anfänge Carlo Schmids. Kooperation und Konfrontation
mit der französischen Besatzungsmacht 1945-1948, in: VfZ 36 (1988), S. 595-648. Allgemein zum
Problem deutscher Politik in der frühen Nachkriegszeit: Eschenburg, Theodor: Regierung, Bürokratie
und Parteien 1945-1949. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepublik, in: VfZ
24 (1976), S. 58-74; Reifeld, Helmut: "Sieger sein verpflichtet"? Recht, Verwaltung und politische
Neuorientierung im besetzten Deutschland 1945-1949, in: NPL 32 (1987), S. 422-438.