8
Ziele, vor allem dem einer weitgehenden Dezentralisierung Deutschlands, gedient.
Fürstenau konstatierte zwar einige, gegenüber den amerikanischen Maßnahmen po
sitiv zu bewertende Elemente der französischen Politik (frühzeitige Heranziehung
deutscher Kräfte, eine realistischere Einschätzung der Möglichkeiten der Entnazifi
zierung und subtileres Denken), trotzdem erkannte er kein Politikkonzept 36 . Klaus-
Dietmar Henke führte diese Argumentation weiter. Auch er stellte keine spezifisch
französische Entnazifizierungspolitik fest, sondern sprach den einzelnen Maßnahmen
der Militärregierung lediglich Improvisationscharakter zu. Die Entnazifizierung habe
keinen eigenen Stellenwert innerhalb der französischen Besatzungspolitik besessen,
sie sei durch eine Taktik der Scheinradikalität gegenüber den anderen Siegermächten
und der französischen Öffentlichkeit gekennzeichnet gewesen. Abrupte Schwenkun
gen seien aus politischer Opportunität ohne Rücksichtnahme auf die tatsächlichen
Erfordernisse der Entnazifizierung unternommen worden. Skandalöse Winkelzüge,
Publicitymanöver und die Diskrepanz zwischen der Ankündigung erweiterter Befug
nisse für die deutschen Verwaltungen und der politischen Realität (Politik des als ob)
charakterisierten für ihn die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollern. Außer
dem habe die Militärregierung die politische Säuberung in einigen Gebieten der Be
satzungszone zur Unterstützung separatistischer Bewegungen benutzt 37 .
Zehn Jahre nach der Veröffentlichung seiner Dissertation wiederholt Henke in einem
neueren Aufsatz weitgehend seine früheren Thesen. Er kritisiert zwar darin vehement
das schematische Vorgehen der amerikanischen Militärregierung, die die tatsächliche
Situation im Nachkriegsdeutschland falsch eingeschätzt habe. Das französische Ver
fahren, welches den Schwerpunkt auf ein individuelles Vorgehen legte, wird aber -
wegen der damit immanent einhergehenden uneinheitlichen Säuberungspraxis - von
ihm gleichfalls beanstandet. Die Entnazifizierung habe nie an der Spitze der politi
schen Prioritätenliste Frankreichs gestanden: Wichtigere Ziele - die notdürftige Sta
bilisierung der Zusammenbruchsgesellschaft, die Ausbeutung deutscher Ressourcen,
die Senkung der Besatzungskosten oder die Durchsetzung territorialer Ansprüche
etwa - milderten hier, gepaart mit einer ohnehin pragmatischeren Grundeinstellung,
den Säuberungsimpetus der beiden europäischen Siegermächte 38 . Die französische
Militärregierung sei klug genug gewesen, die sachfremde Eskalation der amerikani
schen Entnazifizierungspolitik im zweiten Halbjahr 1945 nicht mitzumachen, oben
drein clever genug, diese Tatsache zu verdecken. Mit Brachialität habe sie im Früh
jahr 1947 die Einführung des Spruchkammersystems den deutschen Länderregierun
gen ihrer Besatzungszone oktroyiert 39 .
Den Vorwurf der Instrumentalisierung der Entnazifizierung für die Durchsetzung ter
ritorialer Ansprüche erhob auch Volker Rödel für die Säuberungsmaßnahmen in der
Pfalz. Er interpretierte die Entnazifizierungsbestimmungen der Militärregierung als
Hinweis darauf, daß separatistische Einstellungen honoriert worden wären. Auch
Hans-Jürgen Wünschei zog eine direkte Verbindung zwischen den Entnazifizie
36 Fürstenau, S. 42ff. u. 134ff.
37 Henke, Politische Säuberung, S. 9ff., 43, 67, 126 u. !40ff.
38 Henke, Die Trennung, S. 41.
39 Ebd., S. 42 u. 49.