Full text: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952

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Ziele, vor allem dem einer weitgehenden Dezentralisierung Deutschlands, gedient. 
Fürstenau konstatierte zwar einige, gegenüber den amerikanischen Maßnahmen po 
sitiv zu bewertende Elemente der französischen Politik (frühzeitige Heranziehung 
deutscher Kräfte, eine realistischere Einschätzung der Möglichkeiten der Entnazifi 
zierung und subtileres Denken), trotzdem erkannte er kein Politikkonzept 36 . Klaus- 
Dietmar Henke führte diese Argumentation weiter. Auch er stellte keine spezifisch 
französische Entnazifizierungspolitik fest, sondern sprach den einzelnen Maßnahmen 
der Militärregierung lediglich Improvisationscharakter zu. Die Entnazifizierung habe 
keinen eigenen Stellenwert innerhalb der französischen Besatzungspolitik besessen, 
sie sei durch eine Taktik der Scheinradikalität gegenüber den anderen Siegermächten 
und der französischen Öffentlichkeit gekennzeichnet gewesen. Abrupte Schwenkun 
gen seien aus politischer Opportunität ohne Rücksichtnahme auf die tatsächlichen 
Erfordernisse der Entnazifizierung unternommen worden. Skandalöse Winkelzüge, 
Publicitymanöver und die Diskrepanz zwischen der Ankündigung erweiterter Befug 
nisse für die deutschen Verwaltungen und der politischen Realität (Politik des als ob) 
charakterisierten für ihn die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollern. Außer 
dem habe die Militärregierung die politische Säuberung in einigen Gebieten der Be 
satzungszone zur Unterstützung separatistischer Bewegungen benutzt 37 . 
Zehn Jahre nach der Veröffentlichung seiner Dissertation wiederholt Henke in einem 
neueren Aufsatz weitgehend seine früheren Thesen. Er kritisiert zwar darin vehement 
das schematische Vorgehen der amerikanischen Militärregierung, die die tatsächliche 
Situation im Nachkriegsdeutschland falsch eingeschätzt habe. Das französische Ver 
fahren, welches den Schwerpunkt auf ein individuelles Vorgehen legte, wird aber - 
wegen der damit immanent einhergehenden uneinheitlichen Säuberungspraxis - von 
ihm gleichfalls beanstandet. Die Entnazifizierung habe nie an der Spitze der politi 
schen Prioritätenliste Frankreichs gestanden: Wichtigere Ziele - die notdürftige Sta 
bilisierung der Zusammenbruchsgesellschaft, die Ausbeutung deutscher Ressourcen, 
die Senkung der Besatzungskosten oder die Durchsetzung territorialer Ansprüche 
etwa - milderten hier, gepaart mit einer ohnehin pragmatischeren Grundeinstellung, 
den Säuberungsimpetus der beiden europäischen Siegermächte 38 . Die französische 
Militärregierung sei klug genug gewesen, die sachfremde Eskalation der amerikani 
schen Entnazifizierungspolitik im zweiten Halbjahr 1945 nicht mitzumachen, oben 
drein clever genug, diese Tatsache zu verdecken. Mit Brachialität habe sie im Früh 
jahr 1947 die Einführung des Spruchkammersystems den deutschen Länderregierun 
gen ihrer Besatzungszone oktroyiert 39 . 
Den Vorwurf der Instrumentalisierung der Entnazifizierung für die Durchsetzung ter 
ritorialer Ansprüche erhob auch Volker Rödel für die Säuberungsmaßnahmen in der 
Pfalz. Er interpretierte die Entnazifizierungsbestimmungen der Militärregierung als 
Hinweis darauf, daß separatistische Einstellungen honoriert worden wären. Auch 
Hans-Jürgen Wünschei zog eine direkte Verbindung zwischen den Entnazifizie 
36 Fürstenau, S. 42ff. u. 134ff. 
37 Henke, Politische Säuberung, S. 9ff., 43, 67, 126 u. !40ff. 
38 Henke, Die Trennung, S. 41. 
39 Ebd., S. 42 u. 49.
	        
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