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Waren die der Zivilbevölkerung zur Verfügung stehenden Güter schon vor dem
Krieg relativ reduziert worden, so verschärfte sich diese Tendenz im Krieg rapide.
Methodisch sind die zahlreichen Statistiken wiederum nur mit Vorsicht zu verwer
ten, doch schätzt z. B. Boelcke, 32 33 daß 1943 wohl höchstens noch ein Drittel der
Konsumgüterproduktion von 1938 (ohne Nahrungs- und Genußmittel) für die Zivil
bevölkerung zur Verfügung stand; bei Kleidung sanken die Wertrelationen vermut
lich auf rund ein Viertel im gleichen Zeitraum, bei Hausrat und Möbel auf knapp ein
Zehntel. Dazu kamen weitere Faktoren wie steigende Preise und rapide Qualitätsver
schlechterungen, etwa bei den auch nach dem Krieg besonders gesuchten Schuhen.
Die Produktion von Schlafzimmern und Küchen wurde 1943 beispielsweise einge
stellt - und dies bei sich ständig verschärfendem Luftkrieg, in dem 1943 4,5 Mio.
Obdachlose (darunter 2,5 Mio. Totalgeschädigte) gezählt wurden. Mitte 1944 er
reichte der Bedarf der Ausgebombten 90% der zivilen Konsumgüterversorgung.“
Um so stärker wurden seit 1943 die Lieferungen zunächst aus den besetzten Gebie
ten, dann auch z. B. aus Italien und Schweden forciert. Mit den letzten Kriegswo
chen brachen auch die verbliebenen Versorgungsmöglichkeiten nach und nach zu
sammen. Rolf Wagenführ hat in seiner großteils bereits 1945 verfaßten Übersicht
geschätzt, daß noch zu Kriegsende im Vergleich zu 1944 die Produktion von Öfen
und Kochtöpfen auf ein Drittel, die Produktion von Messern, Gabeln, Schuhen,
Bettstellen und Kleiderschränken auf ein Viertel zurückging 34 - damit war die Liste
der auf den parallelen Märkten der Nachkriegsjahre am meisten gesuchten Objekte,
wie zu zeigen sein wird, für den Gebrauchsgütersektor bereits teilweise erstellt.
Gerade Waren, welche die Bevölkerung besonders suchte, standen zu Kriegsende
kaum mehr zur Verfügung. Wenngleich durch die Kriegsereignisse verschärft, er
reichte hier doch eine Produktionsentwicklung ihren Höhepunkt, die seit 1933 ange
legt gewesen war. Auch ohne Einwirkungen der Besatzungsmächte waren die Wei
chen für die Nachkriegsprobleme damit in einem weiteren Bereich gestellt.
Ihre volle ökonomische und sozialpsychologische Nachkriegswirkung entfalteten
die Priorität der Rüstungsproduktion sowie die Konsumreduzierung durch Preis-
und Lohnstop allerdings erst im Verein mit der seit der Weltwirtschaftskrise entwik-
kelten Technik der öffentlichen Finanzpolitik. Kernprobleme aus der Nach
kriegsperspektive waren dabei sowohl die Finanzierung des Wirtschaftsaufschwungs
durch inflatorische Geldschöpfung wie die Verschleierung der dafür angewandten
Verfahren. Der Umfang der Geldmenge bildete nicht allein einen wesentlichen
Grund für den Funktionsverlust des Geldes in der Nachkriegszeit, sondern wurde in
seiner Wirkung verstärkt durch die im Prinzip bereits unter der Regierung Papen
eingeleiteten Finanzierungsformen, die sich in der folgenden Rüstungsfinanzierung
auch von den im I. Weltkrieg angewandten Verfahren unterschieden. Angesichts der
32 Boelckes Schilderung in: Die deutsche Wirtschaft, S. 308 ff., gehört zu den plastischsten
Darstellungen des Problems.
33 Zu den Schwankungen im relativen Gewicht der Verbrauchsgüterproduktion, die beispiels
weise in den beiden ersten Kriegsjahren weniger stark gegenüber der Rüstungsproduktion
zurückstand, siehe u. a. Milward, Kriegswirtschaft, bes. S. 31 ff.
34 Wagenführ, Die deutsche Industrie, S. 111 u. 173 ff.