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am Gesamtaufkommen der deutschen Agrarprodukte einen Anteil von 9,8%
(1938/39), 7,5% (1939/40), 8% (1940/41), 10% (1941/42), 14,8% (1942/43) und
12,9% (1943/44) - Zahlen, die sich allein auf die ins Reich gelangten Lieferungen
beziehen und nicht in Rechnung stellen, daß sich die Wehrmacht außerhalb der
Reichsgrenzen „weit über das offizielle Abgabesoll der okkupierten Gebiete hinaus
mit Nahrungsmitteln eindeckte“ (Volkmann). 15 Daß dahinter auch eine nach ideo
logischen Gesichtspunkten abgestufte Politik des „organisierten Hungers“ in den
besetzten Gebieten stand, war zwar der Eindruck der Völker in den besetzten
Ländern, wurde von deutscher Seite jedoch vor allem nach 1945 kaum mehr in
Rechnung gestellt. 16 17
Der hohe Gesamtgewinn, den Deutschland aus den besetzten Gebieten zog und
den Milward allein für Frankreich während der Kriegsjahre auf etwa ein Viertel
des deutschen Bruttosozialproduktes von 1938 schätzt, 11 war aus der Nachkriegs
perspektive gesehen jedoch eine Art Zeitbombe: Der Beitrag der besetzten Gebiete
und insbesondere Frankreichs zur deutschen Kriegswirtschaft erreichte zwar vor
allem im Lebensmittelsektor nicht das von nationalsozialistischer Seite erhoffte
Ausmaß; aber er verstärkte gewissermaßen indirekt das deutsche Versorgungsdefi
zit, als diese Länder nach dem deutschen Zusammenbruch solche Güter nun für
den eigenen Wiederaufbau einsetzten und zu Osteuropa die Verbindungen ohne
hin abrissen. Die Unterversorgung der Bevölkerung als eine der Entstehungsbedin
gungen für die parallelen Märkte war durch die deutsche Außenhandelspolitik
während des Krieges, soweit Lebensmittel und Konsumgüter betroffen waren,
damit teilweise bereits programmiert.
Noch deutlicher als im Außenhandel sind beim gegenwärtigen Forschungsstand
die Folgen nationalsozialistischer Wirtschafts- und Finanzpolitik im Innern zu
fassen: das Geflecht aus Aufrüstung, Bewirtschaftungssystem, Preis- und Lohn
stop, Kriegsfinanzierung, zurückgestauter Inflation und Konsumreduzierung, das
den Ausgangspunkt für die Entstehung der parallelen Märkte in der Nachkriegs
zeit bildete.
Die mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Papen-Programms im Sommer
1932 in der Folge der Weltwirtschaftskrise eingeleitete, ab 1933 forcierte staatliche
Arbeitsbeschaffungspolitik war fast ausschließlich mittels staatlicher Buch
geldschöpfung ohne Rücksicht auf die öffentlichen Haushalte finanziert worden. 18
Die damit einhergehenden Inflationstendenzen wurden anfänglich noch durch den
15 Ebd., S. 62 u. 64.
16 Vgl. dazu v. a. die erstmals 1949 erschienene, später neu bearbeitete Übersicht von de
Castro, Geopolitik, S. 327 ff.
17 Milward, Der Zweite Weltkrieg, S. 144. Zu den finanziellen Leistungen der besetzten
Gebiete vgl. unten Anm. 35. u. 38.
“ Siehe bes. Marcon, mit umfangreichem statistischem Material; Petzina, Hauptprobleme;
Grotkopp, Die große Krise. Zur wieder auflebenden Diskussion um mögliche Alternativen
zur deutschen Wirtschaftspolitik vor der Machtergreifung: Knut Borchardt, Zwangslagen
und Handlungsspielräume in der großen Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre:
Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes, in: ders. Wachstum, S. 165-182, sowie in
Auseinandersetzung damit Holtfrerich, Alternativen. Aus wirtschaftswissenschaftlicher