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Ergebnisse und Forschungsperspektiven:
Besatzungsherrschaft zwischen Interessenpolitik
und Demokratisierung
Die französische Besatzungszone nach 1945 ist nicht nur eine „Ausbeutungskolonie“
gewesen, um Theodor Eschenburgs einleitend zitiertes Bild noch einmal vereinfacht
aufzugreifen. Ebenso ambivalent wie die offiziellen politischen Erklärungen und
internen Direktiven der Besatzungsmacht war auch die Praxis ihrer Besatzungspoli
tik. Die auf eine extensive Nutzung der Zone gerichteten Aktivitäten stehen in der
kollektiven Erinnerung und in der Forschung bislang im Vordergrund. Eine genaue
re Erforschung der Besatzungspolitik fördert jedoch vielfältige Tendenzen zutage,
die einem solchen Bild zuwiderlaufen. Dies gilt in ersten Ansätzen bereits seit
Sommer 1945. Einerseits zeigen sich — vor allem im Wirtschaftsbereich — beson
ders harte, wenngleich bislang nur ansatzweise erforschte Maßnahmen; andererseits
erweist sich, daß der Südwesten in seinen politischen Entwicklungen den anderen
Zonen in manchen Bereichen voraus war.
In der vorliegenden Arbeit wurden Neuordnungsansätze in der Sozialpolitik unter
sucht. Dabei ergeben sich sowohl Resultate zur Sozialpolitik selbst wie Ergebnisse
für den allgemeineren Rahmen der Besatzungspolitik und der Entwicklung des
Südwestens im Vorfeld der Bundesrepublik. Die spezielleren Ergebnisse sind in den
einzelnen Abschnitten dieser Arbeit differenzierter zusammengefaßt worden. Ab
schließend seien einige Punkte im Hinblick auf übergreifende Fragestellungen und
auch auf Perspektiven, die sich für weiterführende Arbeiten abzeichnen, hervorge
hoben.
1. Neuordnungsansätze haben in der französischen Besatzungspolitik ein grö
ßeres Gewicht erhalten, als dies bislang erkannt wurde. Der gegenwärtige For
schungsstand entspricht insofern noch weithin den Ergebnissen der politischen Ent
wicklung, in der vor allem nach der Auflösung der Länder Baden und Württemberg-
Hohenzollern, wie etwa Gebhard Müller rückblickend feststellte, 1 für die frühen
Entwicklungen im Südwesten kaum mehr ein Interesse bestand. Solche Neuord
nungsansätze sind in der Sozialpolitik besonders deutlich.
2. In der Sozialversicherung strebte die Militärregierung 1945 zunächst eine
umfassende Einheitsversicherung aller Versichertenkreise an. Dies entsprach alten
Forderungen aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Zielsetzungen der zu
gleich in Frankreich angelaufenen Reformen und Grundtendenzen der internationa
len Diskussion, wie sie sich unter dem Eindruck der sozialen Folgen des Krieges seit
dem Beveridge-Plan von 1942 entwickelten. Die erste Reform in den Westzonen
1 Gespräch mit dem Verfasser in Stuttgart, Juli 1980.