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1. Weichenstellungen im „III. Reich“
In diesem Rahmen kann und soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob es ein
spezifisch nationalsozialistisches Wirtschaftssystem gegeben hat 1 oder ob die Politik
des „III. Reiches“ allgemeinen wirtschaftspolitischen Grundsätzen der Zeit ent
sprach, worauf sowohl internationale Vergleichsdaten wie auch die bereits vor der
„Machtergreifung“ getroffenen Entscheidungen und die Weiterführung vieler Maß
nahmen durch die Alliierten nach 1945 hindeuten. Wenn Teilbereiche der wissen
schaftlichen Diskussion in der folgenden Skizze berücksichtigt werden, so nicht, um
diese Frage zu entscheiden, sondern um nach Materialien, Begriffsinstrumentarien
und methodischen Ansätzen zu suchen, welche für die Diskussion über die im
Rahmen der vorliegenden Arbeit interessierenden Probleme ergiebig sind. Dabei
zeigt sich, daß die vor allem im Rahmen der Nationalökonomie geführte umfangrei
che und großteils bereits zeitgenössische Debatte unabhängig von den Auseinander
setzungen um die einzelnen theoretischen Schulen für die hier zu untersuchenden
Probleme noch Anregungen birgt, deren sachgeschichtliche Ergiebigkeit bislang
vielleicht nicht immer voll ausgelotet worden ist. 2
Die französische Monopolisierung des Außenhandels der Besatzungszone und die
damit verbundenen bürokratischen Schwierigkeiten für die deutsche Exportwirt
schaft gehörten nach 1945 zu den wichtigsten Gravamina, welche deutsche Regie
rungen und Wirtschaftsvertreter unermüdlich der Militärregierung vorhielten. 3 4 Für
die Versorgungslage der Bevölkerung war diese Frage insofern wesentlich, als die
1945 in der französischen Zone zusammengefaßten Gebiete in der Lebensmittelver
sorgung zuvor nur zu rund 75% autark gewesen waren; bis 1947 sank dieser Autar
kiegrad nach den Schätzungen von Rothenbergerauf etwa 33%/ Die Außenhandels
politik hatte damit unmittelbaren Einfluß auf die soziale Situation in der Zone. Daß
von deutscher Seite kaum Einblick in die Geschäftspraxis der französischen Mono
polorganisation OFICOMEX bestand, nährte den Verdacht, daß die Zwangswirt
schaft im Außenhandel ausschließlich französischen Interessen diente.
Als Grundprinzip fanden die Franzosen die staatliche Devisen- und Außenhan
delszwangswirtschaft bei ihrem Einmarsch jedoch ebenso wie das binnenwirt
1 Nicht nur neoliberale Nationalökonomen wie Röpke neigen zu dieser Interpretation. Im
Sektor der Finanzverwaltung sieht z. B. Fritz Blaich, „Grundsätze“, nationalsozialistische
Prinzipien in der Frühzeit durchgesetzt. Als „Versuch einer neuen und integrativen nationali-
stisch-etatistischen Wirtschaftsordnung“ betrachtet beispielsweise Avraham Barkai die Poli
tik in der Frühphase des Regimes; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 9 ff., Zitat S. 15. Zur Kritik
daran u. a. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft, S. 146 f. u. ö.
2 Unter dieser Fragestellung bleibt die nach 1945 sehr breit geführte rein theoriebezogene
Diskussion etwa im Sinne von Theodor Pütz, Theorie der allgemeinen Wirtschaftspolitik und
Wirtschaftslenkung, Wien 1948, hier außer Betracht, soweit sie nicht in sachgeschichtlicher
Hinsicht weiterführt. Systematisch ausgewertet wurden u. a. die Nachkriegsjahrgänge der
Zeitschriften: The American Economic Review, Economica, Finanzarchiv, Kyklos, Ordo,
Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Weltwirtschaftliches Archiv.
5 Henke, Politik der Widersprüche, S. 67 ff. Vgl. im Überblick Abelshauser, Wirtschaft und
Besatzungspolitik.
4 Rothenberger, Ernährungs- und Landwirtschaft, S. 188 f.