33
Zerstörungen, sondern vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik längst vor
dem Zusammenbruch gelegt. Sie waren teilweise aber so geschickt gelegt, daß we
sentliche Wirkungen zunächst als Folge allein der Besatzungspolitik erschienen, und
insofern liegt hier ein weiterer Ansatzpunkt für die Erklärung deutscher kollektiver
Reaktionen in und nach der Besatzungszeit. Ordnungspolitisch gesehen, bildete
nicht die Zeit von 1945 bis 1948, sondern von 1931/33 bis 1948/49 eine Einheit-eine
Einheit allerdings, welche auf deutscher Seite unter dem Schock des Zusammen
bruchs zwar von Teilen der Wissenschaft, kaum jedoch von der breiten Bevölkerung
gesehen wurde. Charakteristisch für deutsche Reaktionen ist, daß selbst ein hervor
ragender Fachmann wie Walter Atorf, nach dem Krieg im Tübinger Finanzministe
rium tätig und später Präsident des Rechnungshofes von Baden-Württemberg, noch
1982 die Entstehung des Schwarzen Marktes mit allen seinen Begleiterscheinungen
und Hintergründen - darunter sogar den Geldüberhang - primär auf die „Entzie
hung lebenserhaltender Kräfte“ durch die Besatzungsmacht zurückführte und nur
beiläufig auch die „Nachwirkungen der Kriegsfinanzierung“ erwähnte. 5
Tatsächlich wurde der deutschen Bevölkerung jetzt jedoch zunächst die Rechnung
für die seit den frühen dreißiger Jahren allmählich durchgesetzten wirtschafts- und
finanzpolitischen Grundsätze und Techniken präsentiert, eine Rechnung, welche die
nationalsozialistische Führung nach dem „Endsieg“ den zu unterwerfenden Völkern
zugedacht hatte. Dies gilt für die Devisen- und Außenhandelspolitik, für die Finanz
politik, für die Produktionsprioritäten und für die Wirtschaftslenkungspolitik in
unterschiedlichem Ausmaß, aber in der Grundtendenz gleichermaßen: Gerade wirt
schaftspolitisch war 1945 keine „Stunde Null“, sondern deutsche Politik bis 1945
und alliierte Besatzungspolitik griffen in vielfältiger Weise ineinander und bildeten
gemeinsam den Hintergrund für die wirtschaftliche und soziale Situation im Nach
kriegsdeutschland. Drastischer und einseitiger formulierte es Wilhelm Röpke 1947:
Der „heutige Wirtschaftsmarasmus in Deutschland“ sei „eine nationalsozialistische
Kriegswirtschaftsordnung im letzten Stadium ihrer Auflösung“/
Atorf, Streifzug, S. 233; der Beitrag gibt im übrigen grundlegende Informationen zur Finanz
politik der Nachkriegsjahre.
Röpke, Offene und zurückgestaute Inflation, S. 67 f.; vgl. auch ders., Lehren des deutschen
Wirtschaftsmarasmus, in: Neue Zürcher Zeitung, 26.-27. 10. 1946. Zur neoliberalen Interpre
tation der Nachkriegswirtschaftsordnung siehe unten S. 40 f. und 52 ff.