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Bezug auf Baden-Badener Reformbeschlüsse. Und während die Sozialversicherung
in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier zur gleichen Zeit nach den Zentralan
weisungen umgestaltet werden sollte, sind für die Kriegsopfer dort - es ist darauf
zurückzukommen - keine derartigen Entscheidungen gefallen. Die zentralisierenden
Sachzwänge wirkten hier auch, wie gezeigt, weniger als in der Sozialversicherung.
Der erste eindeutige Quellenbeleg für eine zentrale Koordinierung in der Kriegsop
ferfrage stammt schließlich von November 1945, 6 als zentralisierende Tendenzen in
der Militärregierung auch allgemein bereits an Boden gewannen. Für die Kriegsop
fer sind zentrale Baden-Badener Planungen für den Sommer 1945 daher nicht ein
deutig nachzuweisen. Unabhängig von der Zentralismus-Problematik war die Initia
tive aber jedenfalls im Rahmen der alliierten Politik dieser Monate erstaunlich. Sie
führte Ende 1945 zu den für die Kriegsopfer zu dieser Zeit nach Süd-Baden günstig
sten Lösungen im ehemaligen Reichsgebiet.
Bemerkenswert ist nicht nur das soziale Leistungsniveau, sondern auch der politi
sche Entscheidungsprozeß. Wie bei der Ende 1945 in Hessen-Pfalz durchgeführten
Sozialversicherungsreform, erhielt - nachdem die Initiative eher auf französischer
Seite gelegen hatte - auch in der Kriegsopferfrage die deutsche Verwaltung seit
August 1945 einen erheblichen Einfluß. 7 Dabei wirkte die deutsche Seite noch
stärker auf Einsparungen hin als die Franzosen. Eine vollkommene Angleichung an
die Unfallversicherung sah der Finanz-Präsidialdirektor Dahlgrün nicht für zweck
mäßig an. 8 Unter den Gesichtspunkten der Fürsorgepflicht des Staates für seine
Kriegsopfer und der grundsätzlichen Gleichrangigkeit des Einsatzes des Soldaten seien
die großen Unterschiede in der Rentenhöhe, wie sie die Unfallversicherung mit ihrer
Bindung an das frühere Einkommen vorsehe, aus sozialen Gründen nicht zu befür
worten; nach dem RVG in der Fassung von 1927 habe die höchste Rente für einen
Vollinvaliden den anderthalbfachen Betrag der niedrigsten Rente erreichen können,
nach der Unfallversicherung dagegen das Vierfache. So hohe Renten seien auch
finanziell für das Land nicht zu verkraften. Die untere Grenze für die Rentenberech
tigung solle nicht, wie die Militärregierung vorschlug, bei einer Invalidität von einem
Drittel, sondern erst bei 40% einsetzen; Dahlgrün übernahm damit, vermutlich
unwissentlich, die auch von den Amerikanern geplanten Bedingungen. Unter den
Hinterbliebenenleistungen solle, so Dahlgrün, die Elternrente entfallen, da die wirt
schaftliche Abhängigkeit der Eltern von dem gefallenen Sohn schwer überprüfbar
sei. Ebenso sollten während der Nazizeit erfolgte Erhöhungen gestrichen werden.
Diese Grundsätze setzten sich im wesentlichen durch, wobei die engültige Regelung
in einigen Punkten, vor allem bei der unteren Leistungsgrenze, noch etwas großzügi
ger ausfiel. Aufgegeben wurde dagegen die begrenzte Bindung der Kriegsopferlei
stungen an die frühere soziale und wirtschaftliche Stellung des Betroffenen, die den
wichtigsten Durchbruch der Kriegsopferversorgung der Weimarer Republik gebildet
6 Siehe oben S. 457.
Schriftverkehr mit mehreren Entwürfen, welche die Planungsstadien von Juli bis November
1945 wiedergeben, in LA SP H 13/59, 62, 791. Ein Entwurf vom 24. 8. 1945 in H 13/791
reproduzierte zunächst die französischen Anweisungen vom 21.8.
Wie oben Anm. 3.