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reich ein politisches und gesellschaftliches Ansehen, das der Position der deutschen
„Veteranenverbände“ während der Weimarer Republik kaum vergleichbar war. 2 * Die
Militarisierung der Kriegsopferversorgung während des „III. Reiches“ hatte mit der
NSKOV zwar auch die gesellschaftliche Stellung der Kriegsopfer aufgewertet; 1945
bewirkte dies in Deutschland, wie dargestellt, jedoch zunächst umgekehrt ihre fast
völlige Diskreditierung. Durch die Niederlage von 1940 war das Ansehen der Armee
zwar auch in Frankreich erheblich beeinträchtigt - die Rückwirkung dieses nationa
len Traumas auf die Position der französischen Kriegsopfer 1944/46 wäre noch
genauer zu untersuchen; im Vergleich zur deutschen Situation nahmen die Kriegs
opfer jedoch im Bewußtsein der französischen Militärregierung von vornherein eine
ganz andere Stellung ein als bei Briten, Amerikanern und Sowjets. Im konkreten
Entscheidungsprozeß trug dazu bei, daß einige an den politischen Schaltstellen
sitzende Besatzungsoffiziere, darunter mehrere Landesgouverneure, selbst kriegsver
sehrt waren und hier die traditionelle internationale Solidarität der Frontsoldaten
trotz allen Mißtrauens gegenüber deutschem „Militarismus“ zur politischen Wir
kung kam. Im innerfranzösischen Bereich war Ausdruck dafür z. B. auch, daß die
malgre-nous, die zwangsweise zur Wehrmacht eingezogenen Elsässer und Lothrin
ger, 1945 in das französische Kriegsopferversorgungssystem unverzüglich einbezo
gen wurden, obwohl die politische und psychologische Problematik dieser Gruppe
auch 40 Jahre nach Kriegsende noch nicht bewältigt erscheint. 1
Während die innenpolitischen Hintergründe in der Sozialversicherung im Sommer
1945 zunächst zu dem Versuch führten, französische Reformen auf die Besatzungs
zone in Deutschland zu übertragen, trugen sie im Bereich der Kriegsopferversorgung
umgekehrt dazu bei, das deutsche Versorgungssystem sehr viel zurückhaltender zu
demontieren, als dies in den anderen Zonen geschah. Im Gegensatz zur Reaktion
von Briten, Amerikanern und Sowjets, welche Kriegsopferversorgungsleistungen
1945 zunächst weitgehend einstellen ließen, erfolgten in Baden und vor allem in
Hessen-Pfalz jedoch schon im Sommer 1945 französische Initiativen, das deutsche
Leistungssystem in wesentlichen Teilen bestehen zu lassen oder aber ein anderes
System an seine Stelle zu setzen und die Versorgung der Betroffenen jedenfalls nicht
einfach der Fürsorge zu überlassen. Im Kontrollrat versuchte Frankreich 1946/47,
wie zu beobachten war, ein verbessertes Versorgungssystem auch auf Vier-Zonen-
Ebene durchzusetzen, scheiterte damit jedoch weitgehend am Widerstand der ande
ren Alliierten. Solange Beschlüsse im Kontrollrat nicht gefallen waren, hatte die
Zonen-Militärregierung hier jedoch noch eine größere Entscheidungsfreiheit als in
der in Berlin energischer betriebenen Sozialversicherungsfrage, und in Teilen der
Zone nutzte sie diese Möglichkeiten.
Die Kriegsopferpolitik war im Südwesten damit durch eine ständige Spannung von
Zentralismus und Dezentralisierung gekennzeichnet, in der sich - anders als in der
2 Umfassend dazu Prost; Ansätze zum internationalen Vergleich bei Geyer, Vorbote.
s Vgl. dazu die Beiträge in: Wahl (Hg). Auf das Beispiel der malgre-nous wiesen den Verfasser
auch deutsche Kriegsopfer-Funktionäre mehrfach hin, um die französische Grundhaltung zu
charakterisieren.