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VII.
Neuordnungsansätze in sozialpolitischer Kontinuität:
Kriegsopferversorgung in der französischen Zone
1. Rahmenplanungen der Militärregierung
Im Gegensatz zur Sozialversicherungspolitik, die innerhalb der französischen Zone
weitgehend zentralisiert war, haben sich in der Kriegsopferversorgung in jedem
Land und anfangs sogar in Landesteilen unterschiedliche Regelungen herausgebil
det. Dies lag einerseits daran, daß deutsche Stellen hier ein besonders großes Maß an
Einwirkungsmöglichkeiten besaßen; die schließlich durchgeführten Regelungen be
ruhten in allen Ländern im wesentlichen auf den deutschen und weniger auf franzö
sischen Planungen. Andererseits kam auf französischer Seite die Verflechtung von
Sozialpolitik und allgemeiner, auf Dezentralisierung zielender Deutschlandpoli
tik besonders deutlich zur Wirkung. Sachzwänge, die in der Sozialversicherung
1945/46 eine länderübergreifende Regelung bewirkten, gab es in der seit dem
I. Weltkrieg weitgehend regional organisierten Kriegsopferversorgung weniger. Ar
beitsmarktentwicklung, Lohn- und Produktionskosten sowie Verfügungskompeten
zen über große Kapitalien, mit der Sozialversicherung eng zusammenhängend, wa
ren in der Kriegsopferversorgung nicht so unmittelbar tangiert, sieht man von der
Berufsfürsorge für Schwerbeschädigte ab. Von den wirtschaftlichen Erfordernissen
her war eine Dezentralisierung in der Kriegsopferversorgung demnach leichter hin
zunehmen. So konnte in diesem Bereich das französische Grundprinzip, die Länder
gewalt in Deutschland zu stärken und auf eine möglichst dezentralisierte politische
Struktur des zu erwartenden Bundesstaates hinzuwirken, in größerem Maße zur
Geltung kommen. Hierin liegt ein wesentlicher Grund für die Diversifizierung der
Kriegsopferversorgung in der Zone. Ende Mai 1947 resümierte die Baden-Badener
Militärregierung gegenüber der französischen Kontrollratsdelegation, das ganze Sy
stem sei parfaitement satisfaisant aupoint de vuepolitique.'
Charakterisiert war es aber nicht nur durch die Dezentralisierung, sondern auch
durch eine bessere Versorgungsqualität. Hier kommt ein weiteres Element in die
französischen Planungen, das auch in der Sozialversicherungspolitik zu beobachten
war, in der Kriegsopferfrage aber in anderer Weise wirkte: die französische
innenpolitische Tradition. Kriegsopfer und ihre Verbände genossen in Frank-
Zitat aus Protokoll der 6. Wirtschaftskonferenz Berlin-Zone, 27.-28.5. 1947, S. 10; AdO
Colmar C. 831 p. 62. Zum Zusammenhang der französischen Planungen s. Hudemann,
Zentralismus.