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Realisierung der Trizone, und in dem Maße, in dem Aufgaben auf den Bund über
gingen, verringerten sich auch die französischen Einflußmöglichkeiten. Hier zeigt
sich, daß neben Finanzierungsbedenken einerseits und sozialpolitischen Grundli
nien andererseits der allgemeinpolitische Faktor als drittes zu den Inkohärenzen in
der französischen Politik beitrug: Das Dezentralisierungsprinzip in der Deutsch
landpolitik, gerade auf sozialpolitischem Gebiet seit 1945 nicht zu realisieren und
ständig durchbrochen, erhielt hier noch einmal eine quer zur Sozialpolitik laufende
politische Wirkung. Doch war es der Schwanengesang: Nachdem die Westalliierten
im Grundgesetz eine erhebliche Beschneidung der Bundeskompetenzen zugunsten
der Länder durchgesetzt hatten, standen die Franzosen auf denjenigen Gebieten, auf
denen das Grundgesetz eine Zentralisierung zuließ oder gebot, auf verlorenem Po
sten. Dazu gehörte die Sozialpolitik.
Dies zeigte sich bereits auf der internen interalliierten Ebene. General Koenig hatte
bei seinen bizonalen Kollegen beantragt, das SV AG vor der Genehmigung noch
einmal gemeinsam zu beraten, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen: Nach
dem der Wirtschaftsrat die Auflagen des BICO vor allem hinsichtlich des Ausschlus
ses der Kriegswitwen von der Angleichung der Arbeiter- an die Angestelltenversi
cherung akzeptiert hatte, wurde sein Gesetz im Juli genehmigt, ohne daß die Franzo
sen auf höchster Ebene noch einmal gehört worden wären. Damit hatte Baden-Ba
den den erhofften Rückhalt in Frankfurt verloren und war isoliert. Auf der Ebene
der zuständigen französischen Ressortleiter führte diese Politik der Briten und Ame
rikaner zunächst aber nicht zu einem Einsehen, sondern zu starker Verärgerung und
einer Verhärtung der Position: Baden-Baden beschloß jetzt ein allgemeines Veto für
seine Zone; 65 die deutschlandpolitische Linie eines extremen Förderalismus setzte
sich im internen französischen Entscheidungsprozeß damit noch einmal durch.
Reale Chancen hatte dies jedoch nicht mehr.
Der allgemeine Protest, der auf die Nachricht von dem französischen Veto von allen
Seiten auf die deutschen und französischen Verwaltungen niederging, 66 erhielt durch
die Genehmigung des Bizonengesetzes Rückhalt. In seiner Reaktion auf Boislam
berts Veto nutzte Altmeier die veränderte Situation sofort; er bestand auf der Geneh
migung des Gesetzes, wies den Gouverneur auf die ohnehin zu erwartende Bundes
kompetenz in der Frage hin und drohte mit der politischen Reaktion der deutschen
Bevölkerung, die meine, daß die Militärregierung den sozialen Standard ihrer Zone
wegen der Besatzungskosten unter den des übrigen Deutschland drücken wolle. 67
Damit hatte er den richtigen Punkt getroffen. Als der Landtag gleichfalls eine Pro
testerklärung verabschiedete, wurde auch der deutschen Verwaltung deutlich, daß
Protokollauszüge von Sitzungen der Justiz-, Finanz- und Arbeitsoffiziere im Rahmen des
Comite Juridique, Baden-Baden 21.7.1949 (AdO Colmar RLP C. 899/3-43-3) sowie
9.8. 1949 (ebd. Bade 2414/7).
Vgl. z. B. einen durch den AGB am 2. 8. 1949 Altmeier zugeleiteten Protest Ludwigshafener
Sozialrentner in LH A KO 860/4163, sowie weitere Materialien in den zitierten Sachakten.
Auszug aus Ministerratsprotokoll, 3.8. 1949, sowie Altmeier an Boislambert, 3.8. 1949;
LHAKO 860/4163.