Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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Wie das rheinland-pfälzische Gesetz, so wurden auch die beiden südlichen Gesetze 
durch Veto der Militärregierung zunächst blockiert. Der Tübinger Gouverneur 
begründete seinen Einspruch mit den zu hohen Leistungen, ein Einwand, den Staats 
präsident Müller im Kabinett als nicht unberechtigt bezeichnete. 60 Intern wurde 
Müller bedeutet, man verstehe auch nicht, weshalb die Gewerkschaften für das 
Gesetz einträten, da es sich bei genauerer Durchrechnung ... zu Gunsten der Arbeitge 
ber auswirke. 61 
In Baden, wo der Einspruch zunächst indirekt durch Aufschub der Genehmigung 
erfolgte, 62 63 wurden die Motive der Militärregierung intern deutlicher. Wie die ande 
ren Militärregierungen frühzeitig über die Planungen informiert, 61 sahen die Freibur 
ger in dem Gesetz nicht nur die finanziellen Risiken, in deren Beurteilung sie sich mit 
den meisten Beteiligten einig waren. Landeskommissar Pene erachtete daneben die 
politischen Gefahren, die es implizierte, für so bedeutend, daß er sich noch vor der 
Landtagsdebatte selbst mit einer ausführlichen Analyse an die Baden-Badener Di- 
rection du Travail wandte. 64 In einer scheinbar nebensächlichen Bestimmung hatten, 
abweichend von den Koblenzern, die Freiburger und Tübinger den Ländern die 
Zahlung der Grundrenten vorbehaltlich der Verrechnung mit dem Bund zugewiesen; 
dies entsprach dem bis 1945 praktizierten Finanzausgleich in der Invalidenversiche 
rung auf Reichsebene. Pene sah hier das Ende der finanziellen Autonomie der 
Länder angekündigt. Mit der Angleichung der Arbeiter- an die Angestelltenversiche 
rung (une mesure tres osee) und der Garantie von Mindestrenten sah er die Grundla 
gen der deutschen Sozialversicherung verlassen und das Versicherungsprinzip als 
solches zugunsten eines Systems allgemeiner Fürsorge unter der Kontrolle eines zentra 
lisierten Staates aufgegeben. Durch sozialpolitische Überlegungen allein sei der 
Gesetzentwurf daher nicht zu erklären, sondern nur unter Einbeziehung seiner poli 
tischen Implikationen: er stelle eine große Etappe auf dem Weg zur Zentralisierung... 
der politischen Macht dar und entziehe die Verwendung enormer Finanzmittel der 
Kontrolle der Besatzungsmächte, deren Interessen, beispielsweise durch die Besat 
zungskosten, dadurch unmittelbar berührt werden könnten. Schließlich verwies Pe 
ne darauf, der Gesetzgeber, wenngleich in einem ehrlichen Idealismus handelnd, 
hätte doch nicht die bösen Erfahrungen des Endes der Weimarer Republik vergessen 
dürfen, zu deren Sturz die Rücknahme von Sozialleistungserhöhungen zweifellos 
beigetragen habe; insofern könnten die vermutlich nicht zu finanzierenden Lasten, 
die das Land mit dem Gesetz auf sich nehme, zu einer Bedrohung für die Demokrati 
sierung dieses Landes werden. Daher sollte das Leistungsniveau zwar verbessert, das 
Gesetz jedoch nicht in seiner Gesamtheit genehmigt werden. 
Pene hatte mit dieser Kritik die Zusammenhänge richtig erfaßt: Die Vereinheitli 
chung des Sozialleistungssystems war ein wesentlicher Schritt bei der praktischen 
60 Widmer an Müller, 29. 7. 1949, StA SIG Wü 1/45, sowie Protokolle des Staatsministeriums, 
7. 6., 28. 7. u. 11.8. 1949, ebd. Wü 2/780 u. 781. 
41 Vermerk über Besprechung Müllers mit Oberst de Mangoux, 4.8. 1949; StA SIG 
Wü 180/454 Bl. 435. 
62 Daty an Wohieb, 13.8. 1949; StA FR A 2/8501. 
63 Schriftverkehr in AdO Colmar Bade 2414/7. 
44 Pene an Direction du Travail, 8. 7. 1949; ebd.
	        
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