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Auch diese Bestimmung entsprach einer langfristigen Tendenz der Sozialversiche
rungsentwicklung.” Schließlich griff der Bebenhausener Landtag, abweichend von
Baden und Rheinland-Pfalz, der späteren Bundesregelung insofern entscheidend
vor, als er gegen den Protest von SPD und KPD, entsprechend der Neuverteilung der
Beitragslast, die bisherige Zwei-Drittel-Mehrheit der Versicherten in der Kranken-
kassen-Selbstverwaltung auf eine Parität mit der Arbeitgeberschaft reduzierte, wie
sie der Wirtschaftsrat in seinem zuvor angenommenen, jedoch vom BICO nicht
genehmigten Selbstverwaltungsgesetz festgelegt hatte. 54
Politisch waren nur wenige Teile der Bebenhausener und Freiburger Gesetze um
stritten. Wie in Rheinland-Pfalz, so bestand auch in Baden und Württemberg-Ho-
henzollern unter allen Parteien Einigkeit über die Erhöhung der Renten. 55 * Unter
schiede zeichneten sich allerdings bei den strukturellen Teilen ab. In Baden wandten
sich ebenso Vertreter der Industrie” wie die Sprecher der FDP 57 gegen diese Bestim
mungen; beide waren der Ansicht, daß die strukturellen Verbesserungen aus Lan
desmitteln nicht zu finanzieren seien, worin ihnen der badische Finanzminister
zustimmte. In Bebenhausen trat die FDP dagegen von vornherein auch für die
Angleichung der Arbeiter- an die Angestelltenversicherung ein. Auf einhelligen
Protest traf in Freiburg die durch die Bizonen-Militärregierungen erzwungene Härte,
die Gleichstellung der Witwen nur für neu eintretende Versicherungsfälle vollstän
dig vorzunehmen; 58 die Auflage zu übergehen wagte der Landtag allerdings nicht,
aus Furcht, die Genehmigung des ganzen Gesetzes damit in Frage zu stellen. Der
energischste Versuch, die im Bizonen-Gesetz enthaltenen Verschlechterungen für die
Arbeitnehmerseite zu verhindern, kam von der KPD-Fraktion in Bebenhausen, die
in einer Vielzahl von Anträgen unter anderem die Beitragsparität für Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, die Herabsetzung der Pflichtversicherungsgrenze und die Ver
schlechterung der Versichertenvertretung in der Krankenkassen-Selbstverwaltung
sowie die Zersplitterung der Kassenverbände kritisierte und zusätzlich die Abschaf
fung der Krankenscheingebühr 59 forderte - in sämtlichen Punkten, obwohl von der
SPD teilweise unterstützt, ohne Erfolg.
“ Entsprechende Erleichterungen - nicht über Beitragsklassen, sondern im wesentlichen über
pauschalen Ansatz von Einheitsbeiträgen auf der Höhe der Durchschnittsbeiträge aller
Versicherten - enthielt auch das 1962 in Kraft getretene neue Handwerkerversorgungsgesetz;
vgl. Übersicht über die soziale Sicherung, 1977, S. 127 ff.
51 Vgl. dazu oben S. 305 f. und unten S. 381 f.
55 S. im einzelnen: Verh. Bad. LT, 12.7.1949, S. 15 ff., u. Verh. LT WH, 24.6.1949,
S. 1170-1185.
Arbeitsgemeinschaft industrieller Fachvereinigungen in Südbaden, Gedanken und Anregun
gen zu dem Entwurf eines Landesgesetzes über Änderung der Sozialversicherung (Sozialversi
cherungs-Anpassungsgesetz), 12. 7. 1949, mehrfach in den Sachakten (Anm. 47); die Eingabe
wurde vor der Plenardebatte an alle Abgeordneten verteilt und von der Landes-Militärregie-
rung auch nach Baden-Baden weitergeleitet.
Verh. Bad. LT, 12. 7. 1949, Bericht über gemeinsame Sitzung des Sozial- und Haushaltsaus
schusses am 6. 7. 1949, u. Abg. Teutsch, ebd. S. 20.
Entschließung des Badischen Landtags auf Antrag der CDU; Verh. Bad. LT, 12.7. 1949,
S. 18.
Verh. LT WH, Beil. 226. Anträge gesammelt in StA SIG Wü 1/45.