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fenden sozialen Wohnungsbau einzusetzen seien; im Klartext bedeutete auch dies,
daß nicht die Angestellten, sondern auf dem Umweg über den Bund die Steuerzahler
die Defizite der Arbeiterversicherung übernehmen sollten. Als Möglichkeit, doch
nicht verpflichtend wurde der Finanzausgleich unter den Krankenkassen vorgese
hen, der in Rheinland-Pfalz und der Bizone detaillierter organisiert war.
Im Leistungsbereich der Krankenversicherung wichen beide Länder gleichfalls, ge
gen den Protest der Kriegsopfer, 50 51 von der Bizone ab, indem das Hausgeld für die
Angehörigen erkrankter Versicherter, eine der sozial wichtigsten Kassenleistungen,
nur als Kann- und nicht als Mußbestimmung erhöht wurde. Grund dafür war aller
dings nicht eine sozialpolitische Reserve, sondern im Gegenteil die Tatsache, daß die
französische Zone der Bizone in der Sozialpolitik voraus war: Die Bemessung des
Hausgeldes fiel normalerweise in die Kompetenz der Krankenkassen-Selbstverwal-
tung. In der Bizone gab es keine offizielle Selbstverwaltung, und so konnte dort der
Gesetzgeber in den Leistungsbereich eingreifen; in der französischen Zone war die
Selbstverwaltung jedoch wiederhergestellt, so daß mit der Kann-Bestimmung auf
deren Entscheidungskompetenz Rücksicht genommen wurde. Die zuvor erfolgte
Wiederzulassung der Sonderkassen hatte auch zur Folge, daß die Pflichtmitglied
schaft der Kassen im SPD-geführten Ortskrankenkassenverband für die französische
Zone, wie vor allem von den Württemberger Kassen seit 1946 gefordert, wieder
aufgehoben und die Bildung eigener Landesverbände zugelassen wurde - eine Be
stimmung, die sich gerade für die Ortskrankenkassen allerdings nicht durchsetzte;
ihr Verband überdauerte die Besatzungszeit und existiert bis heute in der alten
regionalen Zuständigkeit.
Substantiell wichtigste Neuregelung war in beiden Ländern die auf Verlangen der
Handwerkskammern 11 eingeführte Möglichkeit der Unterversicherung für freiwillig
Versicherte und versicherungspflichtige Selbständige, also vor allem für Handwer
ker; sie war weder im Bizonen-Gesetz noch in Rheinland-Pfalz vorgesehen. Die
Sozialversicherung von Selbständigen war als eine der wesentlichen sozialpoliti
schen Neuerungen des „III. Reiches“ 1938 für die Handwerker (zum 1. Januar 1939)
und 1939 für Landwirte eingeführt worden. Sie wurde von den Betroffenen aber nur
sehr zögernd akzeptiert, einerseits infolge der oben skizzierten Selbständigkeitsideo
logie und grundsätzlichen Aversion gegen die Sozialversicherung, 52 aber auch, weil
diese Gruppen die Gesamtheit des Beitrages und nicht wie Arbeitnehmer nur die
Hälfte selbst zu bezahlen hatten. Baden und Württemberg-Hohenzollem wollten mit
der Möglichkeit einer Unterversicherung diese finanzielle Last erleichtern und den
Handwerkern die Möglichkeit geben, mit geringerem Einsatz dennoch die Mindest-
Pflichtbeiträge für die Anwartschaft auf eine Rente zu erlangen; angesichts der
wirtschaftlichen Schwierigkeiten sahen Landesregierung wie Parteien andernfalls
die Gefahr von Zwangsverfahren und damit einer Rückentwicklung der gerade
beginnenden Annäherung der Selbständigen an das Sozialversicherungssystem.
50 Eingabe des VdK an Landtag, Fraktionen und Regierung, 8. 7. 1949; StA FR A 1/152 u.
A 2/8501, von der SPD als Antrag übernommen, im Plenum jedoch abgelehnt.
51 Handwerkskammer Reutlingen an Landtagspräsident Gengier, 3. 6. 1949, mit Resolution der
Kammern; StA SIG Wü 1/45.
52 Vgl. oben S. 319 f.