Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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ken. Aus den Akten wird nicht deutlich, ob der hinhaltende Widerstand der Direk 
tion Arbeit dafür verantwortlich war, ob die badische Verwaltung wie in vielen 
anderen Fallen nur wieder langsam arbeitete oder ob die Landesregierung den 
Ausgang des Kampfes um die Haltung der Militärregierung in den beiden anderen 
Ländern abwarten wollte. 
Denn im Juni/Juli 1949 stießen die bislang weitgehend unabhängig voneinander 
verlaufenen Entwicklungen in den drei Ländern auf der Baden-Badener Ebene 
zusammen, als die Koalition aus Ortskrankenkassenvertretern, Gewerkschaften und 
französischen Arbeitsoffizieren sich dort noch einmal durchsetzte und Ende Juni das 
französische Veto gegen die Beschlüsse der Landtage in Koblenz und Bebenhausen 
bewirkte. Ergebnis war zunächst, daß eine erneute Flut von Protestschreiben nun 
nicht mehr auf die deutschen Landtage, sondern direkt auf die Landesmilitärregie 
rungen niederging. 148 
Angesichts der eindeutigen offiziellen Stellungnahmen von Gewerkschaften und 
SPD hatte die Militärregierung in Baden-Baden dies offensichtlich ebensowenig 
erwartet wie die erbosten Reaktionen in den Landtagen, und sie reagierte deutlich 
verblüfft. Die rasche mündliche Abschwächung in Tübingen und Koblenz, das Veto 
sei ein provisorisches, zeigte dies bereits. Die zum Entsetzen von Arbeitsoffizier 
Andrez 149 schon in den Landtagen und der Öffentlichkeit sehr effiziente Rolle des 
Ersatzkassenverbandes unter Margot Kalinke erwies sich nun auch auf der höchsten 
Ebene als entscheidend: Am 11. Juli protestierte Kalinke, wie die Betriebskassenge 
schäftsführerin Breitling schon im Juni, in Baden-Baden bei Arbeitsdirektor 
Schwartz und Justizdirektor Junker. 150 Sie trat nicht nur als Verbandsvertreterin, 
sondern auch als Landtagsabgeordnete, Mitglied der Europäischen Parlamentari 
schen Union und des Deutschen Rates des Europäischen Rates auf und hob die 
Verhandlungen damit sogleich auf die allgemeinpolitische Ebene. Sie erklärte, das 
Veto verstoße gegen die Würde eines Parlamentes und stelle die Durchsetzung des 
Grundsatzes von der Freiheit und der Souveränität ebenso in Frage wie die Demokratie 
und die europäische Verständigung. Auf Schwartz’ Vorhaltungen, die Gewerkschaf 
ten seien doch mit der Reform einverstanden gewesen, erläuterte sie, daß die Ange 
stellten ... sich eben aus Gründen ihres soziologisch und politisch zu sehenden anderen 
Standpunktes in den vorhandenen Einheitsgewerkschaften seit 1945 schwer sammeln 
konnten und diese daher auch nicht ihre Sprecher seien. Da Frau Breitling 1946 
aufgrund ihrer Protestaktionen eingesperrt worden sei - eine Junker offenbar unbe 
kannte Tatsache, zu der er sofort ausführlichere Informationen anforderte -, habe 
man sich auch nicht anderweitig öffentlich exponieren wollen. Nachdem mit den 
Währungsgesetzen die Länderparlamente jetzt aber die Entscheidungskompetenz in 
Sozialversicherungsfragen erhalten hätten, solle man sie ihnen auch belassen. Wäh 
Vgl. die Sachakte des rheinland-pfälzischen Arbeitsoffiziers in AdO Colmar C. 899/3-20-3. 
Als die Badische Zeitung am 12.7. 1949 über einen Vortrag Kalinkes berichtete (Einem 
armen Volk die beste Sozialversicherung), schrieb Andrez an den Rand: d’oü sort cette falle et 
qui l’a amene(sic) /ö ?AdO Colmar Bade 2414/6. 
Umfangreicher Bericht Kalinkes vom 12. 7. 1949 in StA SIG Wü 180/608 Nr. 98 Anlage.
	        
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