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ken. Aus den Akten wird nicht deutlich, ob der hinhaltende Widerstand der Direk
tion Arbeit dafür verantwortlich war, ob die badische Verwaltung wie in vielen
anderen Fallen nur wieder langsam arbeitete oder ob die Landesregierung den
Ausgang des Kampfes um die Haltung der Militärregierung in den beiden anderen
Ländern abwarten wollte.
Denn im Juni/Juli 1949 stießen die bislang weitgehend unabhängig voneinander
verlaufenen Entwicklungen in den drei Ländern auf der Baden-Badener Ebene
zusammen, als die Koalition aus Ortskrankenkassenvertretern, Gewerkschaften und
französischen Arbeitsoffizieren sich dort noch einmal durchsetzte und Ende Juni das
französische Veto gegen die Beschlüsse der Landtage in Koblenz und Bebenhausen
bewirkte. Ergebnis war zunächst, daß eine erneute Flut von Protestschreiben nun
nicht mehr auf die deutschen Landtage, sondern direkt auf die Landesmilitärregie
rungen niederging. 148
Angesichts der eindeutigen offiziellen Stellungnahmen von Gewerkschaften und
SPD hatte die Militärregierung in Baden-Baden dies offensichtlich ebensowenig
erwartet wie die erbosten Reaktionen in den Landtagen, und sie reagierte deutlich
verblüfft. Die rasche mündliche Abschwächung in Tübingen und Koblenz, das Veto
sei ein provisorisches, zeigte dies bereits. Die zum Entsetzen von Arbeitsoffizier
Andrez 149 schon in den Landtagen und der Öffentlichkeit sehr effiziente Rolle des
Ersatzkassenverbandes unter Margot Kalinke erwies sich nun auch auf der höchsten
Ebene als entscheidend: Am 11. Juli protestierte Kalinke, wie die Betriebskassenge
schäftsführerin Breitling schon im Juni, in Baden-Baden bei Arbeitsdirektor
Schwartz und Justizdirektor Junker. 150 Sie trat nicht nur als Verbandsvertreterin,
sondern auch als Landtagsabgeordnete, Mitglied der Europäischen Parlamentari
schen Union und des Deutschen Rates des Europäischen Rates auf und hob die
Verhandlungen damit sogleich auf die allgemeinpolitische Ebene. Sie erklärte, das
Veto verstoße gegen die Würde eines Parlamentes und stelle die Durchsetzung des
Grundsatzes von der Freiheit und der Souveränität ebenso in Frage wie die Demokratie
und die europäische Verständigung. Auf Schwartz’ Vorhaltungen, die Gewerkschaf
ten seien doch mit der Reform einverstanden gewesen, erläuterte sie, daß die Ange
stellten ... sich eben aus Gründen ihres soziologisch und politisch zu sehenden anderen
Standpunktes in den vorhandenen Einheitsgewerkschaften seit 1945 schwer sammeln
konnten und diese daher auch nicht ihre Sprecher seien. Da Frau Breitling 1946
aufgrund ihrer Protestaktionen eingesperrt worden sei - eine Junker offenbar unbe
kannte Tatsache, zu der er sofort ausführlichere Informationen anforderte -, habe
man sich auch nicht anderweitig öffentlich exponieren wollen. Nachdem mit den
Währungsgesetzen die Länderparlamente jetzt aber die Entscheidungskompetenz in
Sozialversicherungsfragen erhalten hätten, solle man sie ihnen auch belassen. Wäh
Vgl. die Sachakte des rheinland-pfälzischen Arbeitsoffiziers in AdO Colmar C. 899/3-20-3.
Als die Badische Zeitung am 12.7. 1949 über einen Vortrag Kalinkes berichtete (Einem
armen Volk die beste Sozialversicherung), schrieb Andrez an den Rand: d’oü sort cette falle et
qui l’a amene(sic) /ö ?AdO Colmar Bade 2414/6.
Umfangreicher Bericht Kalinkes vom 12. 7. 1949 in StA SIG Wü 180/608 Nr. 98 Anlage.