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sehen Befund der Situation im Südwesten weiterzuentwickeln. Manche sozialpoliti
schen Probleme der Nachkriegsjahre waren zwar politisch und sozialgeschichtlich
interessant und teilweise essentiell, doch nicht für die französische Zone allein
charakteristisch. Dies gilt beispielsweise für den allgemeinen und für den sozialen
Wohnungsbau — ein Bereich, dessen Wirkung auf die bundesdeutsche Nachkriegs
mentalität eine eigene Untersuchung wert wäre — oder für den Lastenausgleich, 46 in
dem die französische Zone sich sehr weitgehend den in der Bizone getroffenen
Entscheidungen anschloß. Solche Themen zonenbezogen zu untersuchen, erscheint
weniger sinnvoll. Weitere Bereiche wie Gewerbeaufsicht und Arbeitsschutz erschie
nen weder für den Südwesten noch für die Nachkriegsjahre besonders spezifisch,
wenngleich z. B. Materialien der Gewerbeaufsicht für bestimmte Probleme herange
zogen werden. Dagegen eröffnen einige Themen über den speziellen sozialpoliti
schen Gegenstand hinaus gerade aus dem Blickwinkel des Südwestens weitere
Perspektiven, und zwar vor allem im Vergleich mit britischer und amerikanischer
Zone.
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Fragestellungen einerseits und der sozialpoli
tischen Ausgangskonzeption andererseits erwiesen Sozialversicherung und Kriegs
opferversorgung sich als besonders ergiebige Teilbereiche. Auf diesen Gebieten hat
die Sozialpolitik im Südwesten sich auch strukturell in den Nachkriegsjahren am
weitesten von der Entwicklung in der britischen und amerikanischen Zone entfernt;
Neuordnungsansätze sind damit hier besonders deutlich zu fassen, allerdings teil
weise bis in die Fachliteratur hinein vergessen. Beide Bereiche hatten für besonders
große Bevölkerungsgruppen unmittelbare Bedeutung, und in beiden waren große
Finanzvolumina betroffen, die allein in den Planungen der Kriegsopferversorgung
bis an die Hälfte der Länderhaushalte reichen konnten; die ökonomischen Interes
sen der Besatzungsmacht waren damit direkt tangiert. Schließlich eröffnen beide
Bereiche auch gegensätzliche und insofern komplementäre Perspektiven für Kon
zeptionen, Sachzwänge und Möglichkeiten sowohl deutscher wie französischer Poli
tik in den Nachkriegsjahren. In der Kriegsopferversorgung war zudem auch über die
französische Zone hinaus teilweise wissenschaftliches Neuland zu betreten.
Diese Geschichte der Sozialpolitik unter Besatzungsbedingungen ist in einen breite
ren Rahmen der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Nachkriegs
zeit zu stellen. In der kollektiven Erinnerung beherrscht der „Schwarze Markt“ die
Zeit, und wie es scheint, gab es für Geld und damit für monetäre Sozialleistungen
kaum etwas zu kaufen; es wird zu zeigen sein, daß dies nur sehr begrenzt zutrifft. Die
Frage nach der Relevanz der Sozialleistungen in der Schwarzmarktzeit, nach den
Ursachen, Wirkungen und Entwicklungen der „Schattenwirtschaft“, führt ihrerseits
zurück zu der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor dem Zusammenbruch und damit zu
den Zusammenhängen von „III. Reich“ und politischen Reaktionen der Bevölke
rung in der Nachkriegszeit. Aus sozialpolitischer Sicht kann damit einerseits die
Debatte um die Währungs- und Wirtschaftsordnungsreform von 1948/49 weiterge
Zu den Entscheidungsprozessen siehe, mit Schwerpunkt auf britischer und amerikanischer
Zone, Schilling.