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in ihrer Zone ist auf diesem Gebiet also sowohl in ihren retardierenden wie in ihren
dynamischen Elementen recht konsequent verfolgt worden, und die Landtage erhiel
ten eine erhebliche Einwirkungsmöglichkeit auch in Punkten, die der Konzeption
der Militärregierung zuwiderliefen. Die politischen Wirkungsmöglichkeiten der
Landtage bewirkten teilweise allerdings eine Änderung der Entwürfe zuungunsten
der Versicherten; dabei kam, wie vor allem in Rheinland-Pfalz zu beobachten, die
innerparteiliche Umorientierung der CDU und der Rückgang des Einflusses ihrer
Sozialausschüsse besonders deutlich zur Wirkung. Damit deutete sich sogar in der
Entstehungsgeschichte dieser Maßnahmen, die zur weitgehendsten sozialen Selbst
verwaltung der deutschen Nachkriegszeit führten, doch schon die Entwicklung der
Jahre 1949/53 an, in denen zahlreiche, von französischer Seite stark beeinflußte
Reformansätze im Südwesten in ihrer Weiterentwicklung angehalten oder zurückge
nommen wurden.
Dahinter verbarg sich allerdings auch ein Strukturproblem. Die Militärregierung
ging in ihrer Selbstverwaltungspolitik im wesentlichen noch von der stark politisier
ten Selbstverwaltung aus, wie sie das deutsche Sozialleistungssystem bis 1934 ge
kennzeichnet hatte, und bemühte sich um eine Erweiterung dieser Mitwirkungsmög
lichkeiten der Versicherten. Dies entsprach dem Reformstand in Frankreich, wo die
Selbstverwaltungstradition zwar fehlte, seit 1944 aber aufgebaut wurde. Daher
wandte sich die Besatzungsmacht auch gegen Verfahren der Vertreterdesignation
durch Interessenverbände. Tatsächlich funktionierten Gewerkschaften und Arbeit
geberverbände die Sozialwahlen jedoch so um, daß über das Listenwahlrecht im
wesentlichen die von ihnen bestimmten Kandidaten doch zum Zuge kamen und freie
Listen nur noch vereinzelt Chancen hatten. Die Aushöhlung des politischen Gehal
tes der Selbstverwaltungstradition, die nach Gründung der Bundesrepublik fortge
setzt wurde, kam in der französischen Zone entgegen dem Willen und der Aktivität
der Militärregierung von deutscher Seite aus bereits zur Wirkung.
Im Gesamtrahmen der französischen Politik läuft die Wiederherstellung der Selbst
verwaltung auch dem verbreiteten Bild von der absoluten Priorität ökonomischer
Interessen gegenüber anderen Zielsetzungen zuwider. Durch die Entscheidungsbe
fugnisse der Selbstverwaltungsorgane in Finanz- und Leistungsfragen wurden enor
me Finanzmittel 123 der Kontrolle der Militärregierung entzogen, und durch die teil
weise Koppelung mit der Frage der Staatszuschüsse waren deren finanzielle Interes
sen im Rahmen der Besatzungskosten unmittelbar tangiert. Über diese im französi
schen Apparat deutlich formulierten Bedenken setzte Baden-Baden sich im Ergebnis
jedoch hinweg.
Die Politik der Franzosen in der Selbstverwaltungsfrage ist schließlich um so bemer
kenswerter, als sie einen Kontrast zur Haltung der anderen Alliierten bildete. In der
Bizone verabschiedete der Wirtschaftsrat im Mai/Juni 1949 nach scharfen Ausein
andersetzungen ein Selbstverwaltungsgesetz, das entgegen den Forderungen von
SPD und Gewerkschaften die Parität von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern
So in diesem Zusammenhang z. B. der badische Gouverneur Pene an Direction du Travail,
8. 7. 1949; AdO Colmar Bade 2414/7. Siehe unten S. 356 f.