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Ein ähnliches Problem ergab sich durch die Öffnung der britischen und amerikani
schen Archive und hat gleichfalls grundlegend auf die Forschung eingewirkt: Briti
sche und insbesondere amerikanische Interpretationen sind damit oft unmerklich,
aber in breitem Ausmaß in die Untersuchung der französischen Politik eingeflossen.
Wie am Beispiel der Kontrollratstätigkeit zu zeigen sein wird, bergen allerdings
schon die publizierten amerikanischen Akten reichhaltiges Material, das die Proble
matik dieses methodischen Ansatzes deutlich macht. Die Frontstellungen aus der
Kriegszeit müssen bei der Verwertung des Materials der anderen Alliierten einbezo
gen werden. Insbesondere die amerikanische Verachtung für die Franzosen spielt
hier eine wesentliche Rolle: die politischen Streitigkeiten mit de Gaulle während des
Krieges, die französische Niederlage 1940, die in Frankreich höher als bei den
anderen Alliierten eingeschätzte militärische Rolle der französischen Truppen
1944/45, die Kontroversen mit de Gaulle in der Levante, im Aosta-Tal und um
Stuttgart und die militärische und ökonomische Anhängigkeit der Franzosen von
den Amerikanern 42 bestimmten eine Frontstellung, die sich besonders deutlich im
Ausschluß Frankreichs von der Potsdamer Konferenz manifestierte.
Mehr die Amerikaner als die Briten neigten daher insgesamt zu einer Geringschät
zung der Franzosen. Der daraus folgende Blickwinkel der amerikanischen Akten hat
sich teilweise auf die Historiographie übertragen, 43 und dies nicht nur in besonders
deutlichen Fällen, wenn etwa scharfe Vorwürfe der — nicht immer genau informier
ten — Amerikaner als Situationsschilderung zitiert, eine im gleichen Aktenband
wenige Seiten später abgedruckte französische Entgegnung jedoch nicht einbezogen
wurde. 44 So reichhaltig die anglo-amerikanische Überlieferung ist, so kann sie doch
ebenso wie das deutsche und das französische Material nur unter Berücksichtigung
der subjektiven Faktoren, unter deren Einfluß sie ihrerseits entstanden ist, zur Inter
pretation herangezogen werden. Die langjährige französische Zurückhaltung, Zu
gang zu den Archiven zu gewähren, hat de facto die Wirkung der subjektiven
Faktoren der ersten Nachkriegsjahre auch in der Forschung verstärkt.
Für die vorliegende Arbeit konnten französische Materialien, nachdem für einzelne
Untersuchungen bestimmte Faszikel bereits früher im Ausnahmeverfahren zugäng
lich gemacht wurden, erstmals umfassend herangezogen werden. Die Akten der
französischen Militärregierung sind Anfang der 1950er Jahre in einem Depot in
Colmar gesammelt worden, wo das nächstliegende französische Departementarchiv
angesiedelt war. Einige Jahre später wurden sie dem Außenministerium unterstellt,
Im Überblick dazu Lipgens, Etappen, und Kiersch, Deutschlandpolitik.
Beispiele dafür, auf die genauer einzugehen sein wird, sind in Teilen die Arbeiten von John
Gimbel, insbesondere: The American Occupation, mit dem er besonders großen Einfluß
erhielt, und John H. Bäcker, besonders: Die deutschen Jahre; beide übernehmen vielfach
die persönliche Interpretation von Clay als Darstellung der historischen Situation. Zu unter
übergreifenden Gesichtspunkten formulierter Kritik an Gimbel siehe u. a. Schwarz, Vom
Reich zur Bundesrepublik, Bibliographischer Essay zur Neuauflage, S. XXXVI, der die
Bedeutung des Ost-West-Konflikts in der Gesamtbilanz höher veranschlagt als den Einfluß
der französischen Politik.
So gelegentlich bei dem häufig zitierten Schreiben von Byrnes an den französischen Bot
schafter Bonnet, 24. 7. 1946, FRUS 1946 Bd. 5, S. 584, und der Antwort vom 30. 8. 1946,
ebd., S. 596 ff.