Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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zurückzugeben. Wie in den anderen Ländern bereits im Verlauf des Gesetzgebungs 
prozesses 1946, so mußte jetzt auch in Württemberg-Hohenzollern erst die Militärre 
gierung die Durchführung der Wahlen anmahnen, 23 bis am 11. Februar 1948 die 
Wahlordnung vorgelegt wurde. 2 “ Entsprechend der bis 1933 gültigen Regelung wa 
ren dabei auch freie Listen zugelassen; 25 dies war erforderlich, weil in manchen 
Kassenbezirken nur 5-10% der Versicherten gewerkschaftlich organisiert waren. 24 
In dieser Schwäche der Gewerkschaftsbewegung dürfte ein Grund für ihre Lethargie 
liegen. Anläßlich der Vorlage der Wahlordnung bei der Militärregierung wurde das 
Problem offen angesprochen: Wir werden auch daraufhinarbeiten, daß die besproche 
ne Distanz der CDU-Arbeitnehmer zu den Gewerkschaften verringert wird, notierte der 
Vertreter des Arbeitsministers. 27 Es dauerte noch einmal fast zwei Monate, bis die 
Gewerkschaften nun doch wach wurden und Bundesvorsitzender Fleck, dem das 
eigene Versäumnis offenbar peinlich geworden war, die Flucht nach vorne ergriff 
mit einem scharfen Angriff auf die Verwaltung: der ehemals nationalsozialistische 
Sachbearbeiter habe die Gewerkschaften nicht gehört und die Wahlen seit Mai 1947 
verzögert. 28 Allerdings hütete sich Fleck, die Sache als Abgeordneter im Landtag zur 
Sprache zu bringen, was dem Minister die Möglichkeit zu einer öffentlichen Erwide 
rung gegeben hätte. 29 
Die gemeinsame Lethargie von deutscher Verwaltung und Gewerkschaften bewirkte, 
daß die ersten Sozialwahlen bei den Ortskrankenkassen erst fast genau ein Jahr nach 
Erlaß der Rechtsanordnung, am 9. Mai 1948, stattfanden. Dabei setzten sich fast bei 
allen Kassen Einheitslisten der Gewerkschaften durch. Die politische Zusammenset 
zung der Ausschüsse ist daher bei diesen Wahlen nicht mehr zu rekonstruieren. 30 Nur 
in Tettnang und in Calw hatte sich eine Opposition gegen die Gewerkschaften als 
Christlich-soziale Wählervereinigung organisiert, die in beiden Fällen die Mehrheit 
Vgl. die recht verlegene Antwort des Arbeitsministeriums, 4. 2. 1948; StA SIG Wü 180/637. 
Abgedruckt bei Zapp, Selbstverwaltung, S. 119-123. 
Dies ging implizit aus dem Rückgriff auf die Weimarer Wahlordnung hervor. 
So Landtagspräsident Gengier, wie Anm. 22. 
Vermerk von Ministerialrat Schäffer über Besprechung Genglers mit Chavoutier, 
11.2. 1948; StA SIG Wü 180/637. Man einigte sich darauf, für die Wahlen die günstigere 
Witterung Ende April abzuwarten, damit die vielfach noch unzureichend mit Schuhwerk 
ausgerüsteten Arbeitnehmer alle zur Wahl kommen könnten. 
Fritz Fleck, Verzögerte Wahlen, in: Der Württemberger, 7.4. 1948. Eine Entgegnung des 
Arbeitsministers Wirsching (15.4. 1948 ; StA SIG Wü 180/637), der auf die Daten des 
Schriftverkehrs verwies, ließ Fleck (4. 5. 1948 an Wirsching; ebd.) nicht gelten, 
ln der auf den Zeitungsartikel folgenden Landtagssitzung am 28. 4. 1948 stand die Aufhe 
bung von nationalsozialistischen Bestimmungen in der Sozialversicherung ohnehin auf der 
Tagesordnung (Verh. LT WH, S. 333); eine Gelegenheit hätte sich also leicht geboten. 
Listen der Ergebnisse in StA SIG Wü 180/637. Der neue Baden-Badener Arbeitsdirektor 
Schwartz forderte nach seinem Amtsantritt als erste Information von den Tübingern die 
Ergebnisse der Sozialwahlen an; Vermerk Labers über Besprechung mit Tassin, 22. 6. 1948, 
StA SIG Wü 180/441.
	        
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