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2. Wiederaufbau der Selbstverwaltung 1947/48
Der bei den deutschen Arbeitsministerien durch die offizielle Zusendung der Kon-
trollratsentwürfe im Herbst 1946 entstandene Eindruck, eine Gesamtreform stehe
bevor, 1 erwies sich rasch als falsch. Im Kontrollrat kam eine Einigung über die
Sozialversicherung, wie geschildert, nicht voran, und in Länderrat und Zonenbeirat
der amerikanischen bzw. britischen Zone gewannen die Gegner einer Einheitsversi
cherung an Einfluß. 2 Während der Wiederaufbau der Selbstverwaltung in der Bizone
dadurch politisch erst recht blockiert wurde, brachte diese Situation in der fran
zösischen Zone den Durchbruch.
Der dezidierteste deutsche Vorstoß erfolgte, wie schon 1946, durch Philipp
Martzloff in der Freiburger Direktion Arbeit. 3 Gegenüber der Militärregierung ver
wies er darauf, daß die Wiederherstellung der Selbstverwaltung einer Neuordnung
der Sozialversicherung keineswegs vorgreife. Die in Württemberg-Hohenzollern
1945/46 praktizierte Methode von Demokratisierung der Sozialversicherung mit einfa
chen Maßnahmen der Verwaltung sei allerdings gesetzestechnisch nicht. .. möglich; er
schlug eine Anordnung vor, welche die Direktion Arbeit zur Wiedereinführung der
Selbstverwaltung auf der Basis der vor 1933 geltenden Regelung im Verfügungswege
ermächtigte. Wie bereits Anfang 1946 von den Freiburger Arbeitsoffizieren vorge
schlagen, sollten die Gewerkschaften, Handels-, Handwerks- und Landwirtschafts
kammern den Versicherungsämtern bei den Landratsämtern Vorschläge unterbrei
ten für die Besetzung der Vorstände der Ortskrankenkassen, die zunächst alle Aufga
ben der früheren Vorstände und Ausschüsse zu übernehmen hätten; zu berufen seien
die Mitglieder durch den Vorsitzenden des Oberversicherungsamtes. 4 Damit
schwenkte die Freiburger Direktion Arbeit inhaltlich weitgehend auf das Württem-
berger Modell ein, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, daß in der badi
schen Konzeption Legislative und Exekutive (Vorstand und Ausschuß) noch nicht
wieder getrennt, sondern wie seit 1934 zusammengefaßt blieben, wenngleich unter
anderem Namen.
Arbeitsoffizier Andrez leitete den Vorschlag nach Baden-Baden weiter mit dem
gesetzestechnisch richtigen Einwand, daß Anordnungen nicht mehr existierten; die
Wiederzulassung solle - was die deutsche Verwaltung ausdrücklich als überflüssig
bezeichnet hatte - im Verordnungswege erfolgen. In der Verwaltungspraxis von 1947
bedeutete dies: unter Beteiligung der Beratenden Landesversammlung, deren Wahl
bevorstand. Hier drängte also die französische Seite im Gegensatz zur deutschen
Verwaltung auf parlamentarische Behandlung. Allerdings frage es sich, so Andrez
1 Umfangreiche Unterlagen z. B. in StA FR A 7 (1981/27) 4001.1.
2 Hockerts, Entscheidungen, S. 61 ff.
1 Martzloff an MR Freiburg, 23. 1. 1947; AdO Colmar Bade 2414/8. Vgl. auch Martzloffs
Drohung, sich direkt an den Gouverneur zu wenden, wenn die Sache nicht rasch Fortschritte
mache, in Schreiben an MR, 15. 2. 1947; StA FR A 7 (1981/27) 4001.1.
4 Entwurf der Anordnung sowie der entsprechenden Verfügung für die Krankenkassen: AdO
Colmar ebd. Ein Verfügungsentwurf für die Selbstverwaltung bei der Landesversicherungs
anstalt wurde angekündigt.