Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

12 
politischen Kontext einzuordnen, in dem ihre Interpretation schwierig ist. Ein fun 
diertes Urteil erlaubt der gegenwärtige Kenntnisstand daher erst für Teilbereiche. 
Dies führt zunächst zu einem Kernproblem der gegenwärtigen wissenschaftlichen 
Diskussion: der mit dem Forschungsstand auch sachlich unmittelbar zusammenhän 
genden Quellenlage. Während die amerikanischen Akten teilweise seit bald einem 
Vierteljahrhundert in wesentlichen Teilen publiziert, insgesamt seit Jahren zugäng 
lich und inzwischen sogar in ihren Kernbeständen auf Microfiche vervielfältigt sind, 
während auch die britischen Bestände seit einigen Jahren verwendet werden können, 
hielt die französische Archivverwaltung die Militärregierungs- und die Pariser Zen 
tralakten bis vor kurzem unter striktem Verschluß. Zudem konnten auch die deut 
schen Landes-Bestände im Südwesten infolge der vielfach zögernden Ablieferungs 
praxis der betroffenen Verwaltungen oft erst später zugänglich gemacht werden als 
etwa die Zentralbestände des Bundesarchivs, welche die französische Zone jedoch 
kaum betreffen. Für den Forschungsstand hatte dies vielschichtige sachliche und 
technische Folgen. Schon aus rein arbeitsökonomischen Gründen hat sich die Akti 
vität der Wissenschaft stärker solchen Themen zugewandt, für welche die einschlägi 
gen Materialien zugänglich waren; sie folgte damit der politischen Entwicklung, in 
deren Folge der französischen Zone nach der Auflösung der beiden kleinsten Süd 
west-Länder fast 30 Jahre lang nur noch ein geringes Interesse entgegengebracht 
wurde. 
Während eine differenzierte Untersuchung der Hintergründe der politischen Ent 
wicklung bei Arbeiten über die britische und amerikanische Zone längst eine Selbst 
verständlichkeit ist, sah sich die Detail-Forschung über die französische Zone damit 
aber auch sachlich zum Teil in der schwierigen Situation, im wesentlichen solche 
Faktoren in die Analyse einbeziehen zu können, die auch schon den zeitgenössi 
schen Verwaltungen deutlich geworden waren. Notwendigerweise war deren Urteil 
auf deutscher Seite aber durch den politischen Kontext des Kampfes gegen die 
Besatzungsmacht und um die eigene Souveränität in vielfältiger Weise beeinflußt, sei 
es bewußt — etwa bei manchen Demontagestatistiken —, sei es unbewußt. Dies war 
politisch legitim, wirft für die Wissenschaft jedoch Probleme auf; denn damit besteht 
die Gefahr, die subjektive Perzeption eines Teils der Zeitgenossen als Ergebnis 
historischer Analyse zu werten und auf wissenschaftlicher Ebene die politischen 
Kontroversen der Nachkriegszeit weiterzuführen. Unter anderem folgte daraus gele 
gentlich eine Tendenz, Ansätze zu Differenzierungen, wie sie sich aus zahlreichen 
Berichten zeitgenössischer Beobachter ergaben und, da auch in der deutschen Über 
lieferung weithin dokumentiert, in den Arbeiten der letzten Jahre immer deutlicher 
erscheinen, nicht unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher Diskussion zu beur 
teilen, sondern als durch spätere deutsch-französische Annäherung beeinflußte, 
„wohlwollend-retrospektive Optik“ 41 für irrelevant zu halten. 
41 So z. B. Henke, Politik der Widersprüche, S. 51 f., Zitat S. 52. Das hier gezeichnete 
Gesamtbild beruhte auf der Prämisse, „positive Aspekte“ müßten „naturgemäß vernachläs 
sigt werden“, da „den Hauptmerkmalen der Politik . .. nachgegangen werden“ solle; die 
„wichtige Rolle“ z. B. der „Erfahrungen mit Deutschland ... in den Jahren bis 1945“ oder 
der „Stellung der Besatzungsmacht im internationalen Rahmen“ könne „nicht weiter ver 
tieft werden“ (ebd.). Höher veranschlagte Henke das Gewicht solcher Faktoren 1986 in der 
Diskussion der Stuttgarter Tagung; Die französische Deutschlandpolitik, S. 52 f.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.