Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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perschaft angehörten; seine Mitglieder wurden nicht gewählt, sondern durch die 
jeweilige entsendende Organisation oder die Aufsichtsstelle ernannt. In der Bizone 
gingen aus ihnen bis 1952/53 die Ersatzkonstruktionen für die fehlende Selbstver 
waltung hervor. Auf den Widerstand der Kassen traf besonders die Berufung eines 
Ärztevertreters in die Beiräte, da hier die Gefahr einer Einflußnahme auf die Ver 
handlungspositionen der Kassen in Honorar- und Leistungsfragen gesehen wurde; 
auch dieser Punkt wurde nach 1945 wieder aktuell. Zwischen Arbeitgeber- und 
Versichertenvertretern wurde grundsätzlich Parität hergestellt. Das Eingriffsrecht 
der Aufsichtsbehörden wurde insofern erweitert, als es sich nun nicht mehr nur auf 
die Beachtung von Gesetz und Satzung, sondern auch auf Fragen der Zweckmäßig 
keit erstreckte. 10 11 * 13 Auch die Beisitzer dieser Aufsichtsorgane wurden nunmehr er 
nannt, nicht mehr gewählt. War es der Bürokratie des Reichsarbeitsministeriums 
1934 gelungen, die traditionelle Organisationsstruktur der Sozialversicherung gegen 
nationalsozialistische Einheitsversicherungspläne im „Aufbaugesetz“ weitgehend zu 
verteidigen, so stellte die Selbstverwaltung denjenigen Bereich dar, in dem Partei 
und DAF sich am weitgehendsten durchgesetzt hatten. 
Dies war die Ausgangslage für die ersten Planungen und Maßnahmen 
1945/46. Bereits in den ersten Sitzungen des zuständigen Ausschusses wurde im 
Kontrollrat die Vordringlichkeit einer Wiederherstellung der sozialen Selbstverwal 
tung betont.” Zunächst unabhängig hiervon entwickelte sich unter den deutschen 
Sachverständigen ein Streit, ob man die Selbstverwaltungsorgane rasch wieder vor 
läufig funktionsfähig machen solle, indem man die Mitglieder durch die Arbeitge 
ber- und Versichertenorganisationen designieren ließ - ein wenig demokratisches 
Verfahren, das aber immerhin den Leiter wieder einer Verantwortung „nach unten“ 
unterwarf -, oder ob möglichst rasch Sozialwahlen durchzuführen seien.” Gerade 
die Tatsache, daß sich in den Ländern der amerikanischen und britischen 
Zone die Anhänger früher Sozialwahlen auf deutscher Seite politisch weitgehend 
durchsetzten, erklärt paradoxerweise die jahrelange Verzögerung dieser Wahlen: Sie 
hatten die technischen Schwierigkeiten, die insbesondere aus dem langsamen Auf 
bau der Organisationen der Sozialpartner resultierten, ebenso unterschätzt wie die 
politischen Differenzen über die Ausgestaltung der Selbstverwaltung im einzelnen.” 
Tatsächlich zog sich die Organisation der ersten Sozialwahlen für die Bizonenländer 
im Endergebnis dann bis 1952/53 hin. 
10 Die Tendenz war schon in der 2. Notverordnung vom 5. 6. 1931 (RGBl. 1931 I, S. 279, 305) 
angelegt und in der Verordnung des Reichspräsidenten vom 1. 3. 1933 (RGBl. 1933 I, S. 97) 
erweitert worden; diese hatte ausdrücklich Fragen der Wirtschaftlichkeit einbezogen. Dob 
bernack, S. 48 f. 
" DMAN/SI/P(45)9, 2. 10. 1945, zu Sitzung des Unterausschusses Sozialversicherung des 
Kontrollrats, 25. 9. 1945; AdO Colmar Cab. KoenigC. 192/BIV10. 
11 Siehe dazu Dobbernack, S. 52 ff.; er vertrat selbst als Leiter der Abteilung Sozialversiche 
rung im Zentralamt für Arbeit der britischen Zone in Lemgo die Lösung provisorischer, aber 
rascher Designation. 
13 Ebd. Vgl. dazu Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 243 ff., und Hockerts, 
Entscheidungen, S. 131 ff.; beide stellen die Debatten ab 1948 dar, gehen auf die Frühzeit 
allerdings nicht ein.
	        
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