Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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Saarbrücken, des Dolmetscherinstitutes Germersheim und der am Vorbild der Pari 
ser ENA orientierten heutigen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer 
sind im Hochschulbereich Beispiele für eine intensiv engagierte Politik; sie sollte 
französische Kultur zum Instrument der Ausdehnung und Sicherung französischen 
Einflusses machen und unter dieser Leitlinie neue Grundlagen für das deutsch-fran 
zösische Verhältnis schaffen. Theater, Ausstellungen, Buchproduktion, Erwachse 
nenbildung dienten dem gleichen Ziel, Die Beurteilung vieler dieser Maßnahmen ist 
schwierig. Hier kamen einerseits Idealisten der Völkerverständigung zum Zuge, wie 
es sie unter den verschiedensten Vorzeichen immer gegeben hat, so auch während 
des Krieges um Otto Abetz in der deutschen Botschaft in Paris. Andererseits waren 
Teile des Kulturprogramms mit dem französischen „Dominanzkonzept“ (Loth) 
durchaus zu vereinbaren, wenn französische Traditionen in Deutschland eingeführt 
werden sollten. Vor allem im Bereich der Schulreformen entwickelten sich daraus 
zahlreiche Konflikte mit der deutschen Verwaltung, so aufgrund des tiefen französi 
schen Mißtrauens gegen das humanistische Gymnasium; die im Laufe der Nach 
kriegsjahre wachsenden deutschen Kompetenzen führten zunächst zu einer Blockie 
rung und später zu einer weitgehenden Rücknahme der Reformmaßnahmen. Auch 
im Pressebereich, in dem, im Gegensatz zu dem verbreiteten Eindruck von einer 
scharfen französischen Zensur, tatsächlich besonders konstruktive Konzeptionen 
entwickelt wurden, ist manche französische Planung an der innerdeutschen Entwick 
lung gescheitert — sei es an anderen Konzeptionen, sei es an der Indolenz der 
deutschen Verwaltungen. Vielfach sind die französischen Initiativen von deutscher 
Seite aber auch mit Enthusiasmus aufgenommen worden. Dabei kamen, im Gegen 
satz zu den oben angesprochenen historischen Belastungen durch die jahrhunderte 
langen Auseinandersetzungen, auch die anderen Traditionen des seit der französi 
schen Revolution vielfach an modernen französischen Verfassungsbewegungen 
orientierten südwestdeutschen Liberalismus zur Wirkung und zeigten die Ambiva 
lenz des historischen „Ballastes“. 
Daß die Besatzungsmacht auch in der Gewerkschaftsfrage nicht, wie bislang vermu 
tet, eine Politik der „Sabotage“ verfolgte, sondern die Gewerkschaften im Rahmen 
ihres wirtschaftlichen Nutzungs- und politischen Demokratisierungskonzeptes im 
Aufbau auch förderte, hat Alain Lattard für Rheinland-Pfalz gezeigt. 19 Besonders 
interessant waren schließlich die Entwicklungen in der Entnazifizierungspolitik, in 
der Württemberg-Hohenzollern das differenzierteste Konzept der deutschen West 
zonen entwickelte. * 40 Ob die Besatzungsmacht bei dem Freiraum, den die Tübinger 
Regierung hier erhielt und der weit über das in anderen Zonen eingeräumte Maß 
hinausging, vor allem aus Desinteresse oder Opportunismus handelte, wie Klaus- 
Dietmar Henke annimmt, oder ob sie sachlich stärker engagiert war, wie manche 
Interventionen es vermuten lassen, wäre an den französischen Akten zu überprüfen. 
Insgesamt sind Neuordnungsansätze in der Entwicklung im Südwesten damit bis 
lang zwar deutlich, aber nur ansatzweise bekannt und zudem vielfach in einen 
" Lattard, Gewerkschaften, sowie ders., Syndicalisme. 
Henke, Politische Säuberung; hierzu in der Gesamtinterpretation abweichend Hudemann, 
Französische Besatzungszone, S. 240 ff.
	        
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