Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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verhindern. Die Tübinger Verwaltung unterstützte den Verband so weitgehend, daß 
sie sogar die französische Übersetzung eines umfangreichen Memorandums gegen 
die Einheitskrankenversicherung besorgte und sie an die Tübinger Militärregierung 
weitergab. 29 Diese riet der deutschen Verwaltung daraufhin mündlich, sich direkt an 
Baden-Baden zu wenden. 30 Wie Moser dem für die Einheitsversicherung eintreten 
den, von den Kommunisten Max Bock bzw. ab 1. Februar 1946 Rudolf Kohl geleite 
ten Stuttgarter Arbeitsministerium mitteilte, war er sich in der Ablehnung der Ein 
heitskasse mit der Tübinger Militärregierung einig. Während die Stuttgarter erwider 
ten, gerade die besseren Leistungen der Betriebskassen, gegen deren Verlust die 
Betroffenen protestierten, sollten allen Versicherten zugutekommen und seien damit 
der entscheidende Grund für die geplante Auflösung dieser Kassen, 31 entfalteten die 
Verbandsvertreter eine rege Aktivität. Louise Breitling reiste am 31. Januar nach 
Baden-Baden und trug Sozialversicherungsoffizier Hesselbarth ihren Protest persön 
lich vor. Die Antwort übertraf jedoch ihre schlimmsten Befürchtungen: der Verord 
nungstext für eine Einheitsversicherung liege unterschriftsreif bei General Koenig. 32 
Ihr Versuch, bei Koenig direkt vorgelassen zu werden, scheiterte. Sofort organisierte 
der Verband eine gewaltige Unterschriftenaktion in den betroffenen Betrieben und 
berief eine Kassenkonferenz ein, zu der die Vertreter der Militärregierung 33 34 35 ebenso 
eingeladen wurden wie Anhänger der Einheitsversicherung aus dem Stuttgarter 
Arbeitsministerium und Vertreter der Ortskrankenkassen. 3 “ In zunächst richtiger 
Einschätzung der gewerkschaftsfreundlichen Haltung der Baden-Badener Direction 
du Travail ließ Breitling sich vom Württembergischen Gewerkschaftsbund bestäti 
gen, er habe mit den Einheitsversicherungsinitiativen nichts zu tun, um so der 
Militärregierung zu suggerieren, es gehe nicht um demokratische Reformen, sondern 
um die Durchsetzung von Partikularinteressen - womit die Ortskrankenkassen ge 
meint waren. Im übrigen hätten die Briten in einer Sitzung in ihrem Bad Oeynhause- 
ner Hauptquartier am 4. Februar 1946 mitgeteilt, die Reformpläne seien in ihrer 
Zone ad acta gelegt. 33 Der scharfe Ton, in den der Verband sich bei seinen Aktionen 
hineinsteigerte, bewirkte in Baden-Baden nun allerdings das Gegenteil: Unter dem 
Eindruck der Flut der Protesttelegramme vermutete General Koenig, das Sachpro- 
blem - das er eingehend zu überprüfen befahl - bilde den Vorwand für eine rebellion 
deguisee ä mes ordres. Als sowohl seine Arbeitsdirektion als auch die politische 
29 Organisationsform der deutschen Sozialversicherung, am 7. 1. 1946 an den Tübinger Sachbear 
beiter Kopf gesandt; Moser sandte die französische Fassung am 16. 1. 1946 an die Militärre 
gierung. Beide Fassungen ebd. 
30 Vermerk ebd. 
31 Moser an Arbeitsministerium Württemberg-Baden, 1.2. 1946, und Antwort vom 11. 2. 1946 
ebd. 
31 Breitling an Dumont (MR Tübingen), 2.2. 1946; ebd. Zu Breitlings Aktivitäten vgl. die 
Unterlagen in der Sachakte von Koenigs Zivilkabinett, AdO Colmar Cab. Koenig C. 
148/Eco V A4. 
33 Hesselbarth und Dumont; Entschließung der Versammlung vom 5. 2. 1946 sowie zahlreiche 
Betriebsresolutionen ebd. 
34 Vgl. den Bericht Genglers an die Landesdirektion für Arbeit, 7. 2. 1946; ebd. U. a. traten 
LVA Präsident Härle sowie Ministerialrat (?) Hof für die Einheitsversicherung ein. 
35 Moser selbst hatte dem Verband zu entsprechenden erneuten Demarchen geraten: Breitling 
an Hesselbarth, 14. 2. 1946, ebd.; Schreiben des Gewerkschaftsbundes in Anlage.
	        
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