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nisierten Sozialverwaltung gestört oder unterbrochen worden waren. In einer ersten
Phase schien die allgemeine Zusammenbruchssituation im Sommer 1945, ähnlich
wie in Berlin, die Chancen zu einer umfassenden Umgestaltung zu eröffnen, und in
Anlehnung an die innerfranzösische Entwicklung verfolgten die Baden-Badener
Zentralinstanzen zunächst entsprechende Einheitsversicherungspläne. Im Nordteil
der Zone wurde ihre Durchführung auch angeordnet. Überall stießen sie jedoch an
die durch zahlreiche technische Probleme gezogenen Grenzen. Dies leitete im Herbst
1945 eine zweite Phase ein, in der eine Verbindung der Gesamtreformpläne mit den
praktischen Problemen der deutschen Zusammenbruchssituation angestrebt wurde.
In dieser Situation konnten auf deutscher und französischer Seite die wenigen
verfügbaren Fachleute zum Zuge kommen. Hier entwickelte sich in Teilen der Zone
rasch nicht mehr eine Konfrontationsstruktur von Militärregierung gegen deutsche
Verwaltung, sondern ein an sachlichen und sozialreformerischen Konzeptionen
orientiertes Interaktionsmuster, dessen Fronten quer durch die deutschen und fran
zösischen Verwaltungen hindurchgingen. Die konkretesten Wirkungen hatten diese
Konstellationen in Hessen-Pfalz, dem einzigen Bereich der französischen Zone, der
über eine relativ einheitliche Infrastruktur aus der Vorkriegszeit verfügte; hier er
folgte im Dezember 1945 die erste, gegenüber den ursprünglichen Zielen aber schon
begrenzte Sozialversicherungsreform der Westzonen. Sie brachte eine teilweise Ver
einheitlichung der Krankenversicherung, eine finanzielle Stabilisierung zu Lasten
der Arbeitgeberschaft, eine Ausdehnung der Versicherungspflicht und eine Stärkung
der Stellung der Landesversicherungsanstalten; in wesentlichen Teilen war hier die
Zonenreform von 1946 vorformuliert. Die Rahmenumstände der Reform wiesen
jedoch bereits jetzt in die Richtung, welche die Zonenpolitik unter den allgemeinpo
litischen Zielsetzungen mittelfristig nehmen sollte. Die Region Hessen-Pfalz hatte
1945 auch noch davon profitiert, daß in den internen Auseinandersetzungen wäh
rend der Konsolidierungsphase der französischen Militärregierungen ein relativ
großer Freiraum auf regionaler Ebene entstanden war. Um die Jahreswende 1945/46
zeichnete sich ab, daß die Hessen-Pfalz-Reform richtungweisend würde für das
Gebiet des späteren Rheinland-Pfalz, nachdem die in den nördlichen Regierungsbe
zirken angelaufenen Einheitsversicherungspläne nicht mehr weiterverfolgt wurden,
sieht man von der Errichtung einer Einheitskrankenkasse im Raum Trier ab. Zu
gleich begann im Saarland die Sonderentwicklung der dortigen Sozialversicherung,
zunächst noch mehr auf institutioneller Ebene als in der Leistungsstruktur. Während
im Norden Vorentscheidungen fielen, gerieten Baden-Badener Zentralisierungsplä
ne für den Südteil der Zone bereits jetzt ins Stocken. Die ersten Verwaltungsentschei
dungen über die Landesversicherungsanstalten zielten dort noch auf eine Zusam
menfassung des französisch besetzten Gebietes ab. Die gleiche Zentralisierungsten
denz galt für den Wiederaufbau der deutschen Verbände, in denen mit dem Verband
der Ortskrankenkassen an Selbstverwaltungstraditionen der Weimarer Republik an
geknüpft wurde; dieser erhielt neben den politischen Instanzen erheblichen Einfluß
auf die Militärregierung. Die widersprüchliche Position des Oberkommandos zwi
schen deutschlandpolitischen Dezentralisierungskonzeptionen einerseits, durch die
Verwaltungsprobleme bedingten Baden-Badener Zentralisierungstendenzen ande
rerseits und schließlich den sich allmählich konkretisierenden Plänen, die Infra-