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Allerdings war auch dieses Grundmuster nicht Idar ausgeprägt, sondern durch eine
Reihe quer dazu verlaufender Kontroversen mitgeprägt. Sie wurden besonders deut
lich bei der Organisation der Rentenversicherung, deren Träger, die Landesversi
cherungsanstalten Baden und Württemberg, in der amerikanischen Zone lagen.
Die Karlsruher LVA richtete eine kleine Außenstelle in Freiburg ein, welche als
Kontaktstelle zur in Karlsruhe besorgten Erledigung der laufenden Geschäfte
diente; die Franzosen akzeptierten im Spätsommer 1945 hier also eine enge admini
strative Bindung an die amerikanische Zone. Kurz nach Bildung der Tübinger Lan
desdirektion für Arbeit am 16. Oktober 1945 wandte sich Landesdirektor Moser
an die Stuttgarter LVA, um seinerseits auf Wunsch der Militärregierung die Einrich
tung eigener Institutionen in Tübingen zu besprechen.’ 4 Dabei wurde nicht nur die
im Frühsommer 1945 von den Franzosen geplante Bildung eines Landesversiche
rungsamtes als Aufsichtsbehörde in der Form zugleich geregelt und umgangen, daß
Moser selbst für das Stuttgarter Landesversicherungsamt die dort gefällten Entschei
dungen übernehmen und unterzeichnen sollte. Das Oberversicherungsamt in Sigma
ringen wurde aufgelöst, an seiner Stelle als höhere Spruch- und Aufsichtsbehörde
aber ein OVA in Tübingen eingerichtet.” Für die Verwaltung der Renten- und der
Unfallversicherung sollte in Tübingen eine Außenstelle der LVA Württemberg nach
badischem Vorbild sowie eine berufsgenossenschaftliche Verwaltungsstelle einge
richtet werden. Während die Baden-Badener Militärregierung noch im Januar 1946
die Einrichtung einer gemeinsamen neuen LVA für die Länder (Süd-)Baden und
Württemberg-Hohenzollern als vollzogen meldete,’ 6 setzte sich der Plan der Tübin
ger Militärregierung de facto durch: Mitte Februar 1946 wurde in Tübingen eine
Zweigstelle der LVA Württemberg gebildet, die sämtliche der LVA obliegenden
Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen haben sollte.’ 7 Damit wäre Freiburg
enger an Karlsruhe gebunden geblieben als Tübingen an Stuttgart. Die Durchfüh
rung dieses Beschlusses verwob sich jedoch sowohl mit den innerdeutschen politi
schen Auseinandersetzungen wie mit der in Baden-Baden angelaufenen zonenwei
ten Sozialversicherungsreform und führte zu einer Auseinandersetzung, die im Som
mer 1946 schließlich auf der Ebene der Militärregierung beigelegt werden mußte.
Um die Jahreswende 1945/46 hatten sich die politischen Ziele der französischen
Deutschlandpolitik, die Sachzwänge in der Zone und die ersten Erfahrungen der
deutschen und französischen Verwaltungen zu einem Geflecht verwoben, das nur
auf den ersten Blick verwirrend erscheint, tatsächlich aber bereits Grundlinien der in
den folgenden Monaten entwickelten Initiativen und politischen Grundlinien durch
scheinen ließ. Die Struktur der französischen Zone zwang die Besatzungsmacht auf
sozialpolitischem Gebiet insofern zum Handeln, als durch die Zonengrenzen die
Infrastrukturen der in wesentlichen Teilen überregional oder reichseinheitlich orga- * 17
’ 4 Protokoll der Besprechung vom 7. 11. 1945 in StA S1G Wü 180/441. Auf den Wunsch der
Militärregierung verweist der Monatsbericht der Landesdirektion für Arbeit, März 1946
(ebd. Wü 180/394); aus den Akten geht sonst keine französische Anweisung hervor.
“ Monatsbericht ebd. Zu den ersten Planungen s. oben S. 215 f.
56 CCFA, Bulletin d’activite, Jan. 1946, S. 19.
17 Schriftverkehr in StA SIG Wü 180/463. Siehe unten S. 268 ff.