220
Gegebenheiten differenzierter eingehende Planungen an, die bald ihre Rückwirkung
auf die nördlichen Regierungsbezirke entfalteten.
Zu den technischen Fragen kam das grundsätzlichere Problem des Übergangs von
der Besetzungs- zur Militärverwaltungsphase, von SH AEF zu den national geführten
Militärregierungen im Sommer 1945. Die dabei aufbrechenden harten Auseinander
setzungen zwischen Militärs und Zivilen im französischen Besatzungsapparat, die
sich trotz des „Sieges“ der Zivilverwaltung während der ganzen Besatzungszeit
weiter fortsetzen sollten, tangierten bereits jetzt auch die Sozialpolitik. Im Zuge des
Übergangs wurde Billotte, der sich besonders intensiv um den innenpolitischen
Wiederaufbau in seinem Gebiet bemüht hatte, schon Ende August 1945 wieder
abberufen. Im Gegensatz zu dem Eindruck von Ulrich Springorum, s der besonders
für die frühe Zeit eine geringe Eigenständigkeit der Oberdelegierten konstatiert,
haben diese Auseinandersetzungen zumindest im Bereich der Sozialpolitik zu einer
Stärkung der Partikulargewalt der regionalen Militärregierungsinstanzen geführt:
einerseits war Baden-Baden stark mit den inneren Problemen seines Apparates
beschäftigt, und andererseits wurde die technische Problematik der frühesten Pla
nung immer deutlicher. Beides führte dazu, daß die Stunde derjenigen schlug, die
sich intensiver in diesen Fragen engagierten: der Technokraten und der politischen
Reformkräfte.
Die besten Spezialisten für die komplizierte Materie saßen in Hessen-Pfalz: in der
Speyrer LVA, im Oberregierungspräsidium Hessen-Pfalz und - wobei der Zufall der
Ernennungen in dieser frühen Zeit mitgespielt haben mag - in der Arbeitsabteilung
der Militärregierung in Neustadt/Haardt. Hier wurde für die Sozialversicherungs
fragen mit Hauptmann Wetta ein Fachmann federführend, der wenig später die
Sozialversicherungsabteilung der Militärregierung in Baden-Baden übernahm und
sie noch bis zur Auflösung des französischen Hochkommissariates 1955 führen
sollte. Arbeitsoffizier Daniel Thibault wurde Anfang 1947 Arbeitsdirektor von
Rheinland-Pfalz. Wie auch am Beispiel der Kriegsopferversorgung zu beobachten
sein wird, sind in dem kleinen Gebiet von Hessen-Pfalz 1945 die weitgehendsten und
interessantesten sozialpolitischen Reformansätze der deutschen Westzonen entwik-
kelt und teilweise bereits in die Praxis umgesetzt worden. Im Bereich der französi
schen Zone war dies das einzige Gebiet, in dem noch aus der bayerischen Zeit eine
gewisse Kontinuität und Einheitlichkeit in der regionalen Verwaltung bestand, so
daß die technischen Neuordnungsschwierigkeiten geringer als in anderen Regionen
waren. Diese relativ günstige Ausgangssituation traf zusammen mit der personalpo
litischen Konstellation auf deutscher und französischer Seite. Die langfristig ange
legten Planungen konzentrierten sich daher zunächst auf Hessen-Pfalz, dessen Ver
waltung im Sommer 1945 auch die effektivsten Stabilisierungsmaßnahmen ergriffen
hatte. 6 Hier entwickelten sich Interaktionsmuster von deutscher und französischer
Verwaltung, die über das Beispiel der Sozialversicherungsreform hinaus interessant * 4 *
5 Springorum, u. a. S. 107 ff.
4 Vgl. auch die Zusammenfassung der Monatsberichte des ORP im August 1945: Die Organi
sation der Sozialversicherung in Arbeit, da bisher in Berlin zentralisiert. LA SP H 13/485 Bl.
466.