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sen, auf die Regierungsbezirke Pfalz und Rheinhessen ausgedehnt, 38 die sie de facto
seit dem 1. Juli 1945 betreute. 39 Für dieses Gebiet übernahm sie, unabhängig von der
rechtlichen Zuständigkeit der übrigen, nicht erreichbaren Landesversicherungsan
stalten, die Leistungen für alle hier wohnenden Invalidenversicherten sowie, zu
nächst noch ohne Ermächtigung, für die Angestellten, deren Verbindungen zur
Reichsversicherungsanstalt gleichfalls abgebrochen waren. 40 Im Spätsommer wur
den ihr die Funktionen der Reichsversicherungsanstalt auch offiziell übertragen. 41
Damit waren die Ad-hoc-Maßnahmen zur Stabilisierung des Sozialleistungssystems
in Hessen-Pfalz, verglichen mit den anderen Teilen der französischen Besatzungszo
ne, im Spätsommer 1945 am weitesten gediehen; in der neuen regionalen Zuständig
keit der LVA sowie in der Übernahme der Funktionen der Angestelltenversicherung
zeichneten sich dabei bereits die grundsätzlicheren Reformpläne ab.
Noch deutlicher wurde dies bei dem Problem der Aufsichtsbehörden der Sozial
versicherung, das zunächst am leichtesten lösbar erschien. Nach der Reichsversiche
rungsordnung (RVO) war das Reichsversicherungsamt in Berlin die oberste Spruch-,
Beschluß- und Aufsichtsbehörde (§§ 83 ff. RVO), dem die Oberversicherungsämter
(§§ 61 ff.) als höhere und die Versicherungsämter (§§ 36 ff.) als untere Behörden
untergeordnet waren. Seine Aufgaben wurden sowohl in Baden wie unter der ameri
kanischen Besatzung in Mittelrhein-Saar den Landesversicherungsanstalten übertra
gen. Dagegen wurde in Württemberg, und zwar entgegen der allgemeinen „Isolie
rungslinie“ der französischen Politik, zunächst schon Mitte Juli ein zonenübergrei-
fendes Landesversicherungsamt errichtet, dem die Aufsichtsbefugnisse des Reichs
versicherungsamtes übertragen wurden. 42 Damit zeigte sich bereits, daß die Franzo
sen ihre Politik der Abschnürung ihrer Zone in der Sozialpolitik nur begrenzt ver
folgten. Solche Landesversicherungsämter hatten vor der Verabschiedung der RVO
im Jahre 1911 schon als oberste Aufsichtsbehörden in einigen Ländern, darunter in
Württemberg, bestanden und waren in diesen Fällen weiter zugelassen (§§ 105 ff.
RVO). Wie der pfälzische Arbeitsoffizier Mitte Juli in einem an die französische
Kontrollratsgruppe adressierten Reformvorschlag ausführte, 43 sei dies die beste Lö
38 Verfügung des ORP Pfalz-Hessen, Abt. Arbeit, 3. 8. 1945; LA SP H 13/791. Die Anstalt
erhielt die Bezeichnung LVA Pfalz-Hessen und am 4. 9. 1945, entsprechend der Umbenen
nung des Oberregierungspräsidiums, LVA Hessen-Pfalz; vgl. LVA Rheinland-Pfalz an LVA
Rheinprovinz, wie Anm. 31.
34 Wie Anm. 36.
Die Landesversicherungsanstalt.. ., wie Anm. 31. Details der lokal unterschiedlichen Ent
wicklung in: Die Lage der Sozialversicherung im Gebiet Hessen-Pfalz..., Bericht vom Sept.
1945 in Archiv LVA RLP.
41 Rundschreiben des Oberregierungspräsidenten Eichenlaub, 21. 9. 1945; LA SP H 13/791.
Laut Die Landesversicherungsanstalt... (wie Anm. 31) geschah dies rückwirkend zum 1. 9.
1945. Vgl. auch Vortrag Dahlgrün bei Konferenz des ORP Hessen-Pfalz mit den Landräten
und Oberbürgermeistern, Neustadt 18. 9. 1945, dem zufolge die Zahlung der Sozialversiche
rungsrenten zu diesem Zeitpunkt sichergestellt war; Notiz in LA SP H 13/485 Bl. 459.
Erlaß über die Errichtung des Landesversicherungsamtes Württemberg in Stuttgart, 20. 7.
1945; StA SIG Wü 180/461. Zu der damit einsetzenden Wiederherstellung der Selbstverwal
tung in der Sozialversicherung siehe unten S. 279.
Neustädter Arbeitsoffizier Dureau an Chef der Abt. Sozialversicherung, Dechamp, beim
GFCCin Berlin, 16. 7. 1945; Abschrift in AdO Colmar RLP C. 899/3-10-4.