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gescheitert sind, für die Entwicklung der französischen Politik und damit der
Deutschlandfrage 1946/47 eine reale Wirkung entfaltet. Denn am System der sozia
len Sicherheit wurde besonders deutlich, daß eine rigorose Isolierung des Südwe
stens vom übrigen Deutschland sowohl technisch wie politisch kaum möglich war.
In die Pariser Planungen für eine deutsche Bundesverfassung brachte die französi
sche Besatzungsverwaltung diesen Standpunkt spätestens seit Ende 1946 ein. Tech
nisch war es kaum denkbar, die wirtschaftliche Einheit beizubehalten und das sozia
le Sicherungssystem in kleine Einheiten aufzuspalten. Politisch drohten die Franzo
sen damit gegenüber den anderen Alliierten bei der deutschen Bevölkerung ins
Hintertreffen zu geraten; daß dies aus anderen Gründen längst geschehen war, ist
den verantwortlichen Besatzungsbeamten offenbar selten klar gewesen. Die Franzo
sen verfügten sowohl in ihrem Mutterland wie in ihrer Zone über wesentlich weniger
Mittel als Engländerund insbesondere Amerikaner, so daß ein soziales Leistungsge
fälle zu Ungunsten der französischen Zone zu erwarten stand. Sowohl die Kräfte
innerhalb der Besatzungsmacht, die darauf hofften, die „arbeitende Bevölkerung“
durch sozialpolitische Maßnahmen für eine Zusammenarbeit mit der französischen
Besatzungsmacht zu gewinnen und langfristig die französische Sicherheitspolitik
auch durch eine „Demokratisierung“ in Deutschland zu untermauern, als auch die
primär auf eine möglichst effiziente Nutzung der deutschen Wirtschaft bedachten
Kräfte hatten daher ein Interesse daran, eine solche Aufsplitterung des Soziallei-
stungsssystems zu verhindern und, im Gegenteil, über eine gesamtdeutsche Einheits
versicherung indirekt von der stärkeren Wirtschaftskraft der anderen Regionen zu
profitieren. In diesem Sinne begannen die praktischen Zwänge und Erfahrungen,
wie die internen französischen Diskussionen zwischen Berlin, Baden-Baden und
Paris zeigen, auch auf die Formulierung der amtlichen Pariser Politik zurückzuwir
ken und zu deren zunehmender Differenzierung und schließlich Wendung beizutra
gen — unabhängig davon, daß in den ökonomischen Planungsinstitutionen in Paris
der Wert des deutschen Wirtschaftspotentials für Frankreich allmählich auch skepti
scher beurteilt wurde.
In den verschiedenen Gremien des Kontrollrates waren die Franzosen unter den
Westmächten dementsprechend auch diejenigen, die am längsten für die Verabschie
dung einer einheitlichen Sozialversicherungsreform in allen Zonen eintraten. Im
Gegensatz zu den Briten und Amerikanern hatten sie 1946 Teile der Reform bereits
in ihrer Zone verwirklicht und dabei eine Kollision mit den zu diesem Zeitpunkt
gefallenen Vorentscheidungen des Kontrollrats sorgsam vermieden — allerdings um
den Preis, daß die Reform in wesentlichen Teilen auf die Krankenversicherung
begrenzt wurde und damit vorrangig den in der Zeit vor der Währungsreform in der
französischen Zone wichtigsten Teil des Systems und nicht die gesamte Sozialversi
cherung erfaßte. Baden-Baden konnte die französische Kontrollratsgruppe bei den
Berliner Planungen aber auch nur begrenzt unterstützen. Denn während Amerika
ner, Briten und Sowjets auf ein breites Arsenal deutscher Experten in ihrer Zone
zurückgreifen konnten, verfügten die Franzosen mit Ausnahme weniger Ministerial-
beamter und Krankenversicherungsexperten sowie einer einzigen Landesversiche
rungsanstalt in Speyer, die mit der Koordinierung und Reorganisation der Verwal
tung ihrerseits personell bereits völlig überfordert war, über keine deutschen Sach