Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

205 
gescheitert sind, für die Entwicklung der französischen Politik und damit der 
Deutschlandfrage 1946/47 eine reale Wirkung entfaltet. Denn am System der sozia 
len Sicherheit wurde besonders deutlich, daß eine rigorose Isolierung des Südwe 
stens vom übrigen Deutschland sowohl technisch wie politisch kaum möglich war. 
In die Pariser Planungen für eine deutsche Bundesverfassung brachte die französi 
sche Besatzungsverwaltung diesen Standpunkt spätestens seit Ende 1946 ein. Tech 
nisch war es kaum denkbar, die wirtschaftliche Einheit beizubehalten und das sozia 
le Sicherungssystem in kleine Einheiten aufzuspalten. Politisch drohten die Franzo 
sen damit gegenüber den anderen Alliierten bei der deutschen Bevölkerung ins 
Hintertreffen zu geraten; daß dies aus anderen Gründen längst geschehen war, ist 
den verantwortlichen Besatzungsbeamten offenbar selten klar gewesen. Die Franzo 
sen verfügten sowohl in ihrem Mutterland wie in ihrer Zone über wesentlich weniger 
Mittel als Engländerund insbesondere Amerikaner, so daß ein soziales Leistungsge 
fälle zu Ungunsten der französischen Zone zu erwarten stand. Sowohl die Kräfte 
innerhalb der Besatzungsmacht, die darauf hofften, die „arbeitende Bevölkerung“ 
durch sozialpolitische Maßnahmen für eine Zusammenarbeit mit der französischen 
Besatzungsmacht zu gewinnen und langfristig die französische Sicherheitspolitik 
auch durch eine „Demokratisierung“ in Deutschland zu untermauern, als auch die 
primär auf eine möglichst effiziente Nutzung der deutschen Wirtschaft bedachten 
Kräfte hatten daher ein Interesse daran, eine solche Aufsplitterung des Soziallei- 
stungsssystems zu verhindern und, im Gegenteil, über eine gesamtdeutsche Einheits 
versicherung indirekt von der stärkeren Wirtschaftskraft der anderen Regionen zu 
profitieren. In diesem Sinne begannen die praktischen Zwänge und Erfahrungen, 
wie die internen französischen Diskussionen zwischen Berlin, Baden-Baden und 
Paris zeigen, auch auf die Formulierung der amtlichen Pariser Politik zurückzuwir 
ken und zu deren zunehmender Differenzierung und schließlich Wendung beizutra 
gen — unabhängig davon, daß in den ökonomischen Planungsinstitutionen in Paris 
der Wert des deutschen Wirtschaftspotentials für Frankreich allmählich auch skepti 
scher beurteilt wurde. 
In den verschiedenen Gremien des Kontrollrates waren die Franzosen unter den 
Westmächten dementsprechend auch diejenigen, die am längsten für die Verabschie 
dung einer einheitlichen Sozialversicherungsreform in allen Zonen eintraten. Im 
Gegensatz zu den Briten und Amerikanern hatten sie 1946 Teile der Reform bereits 
in ihrer Zone verwirklicht und dabei eine Kollision mit den zu diesem Zeitpunkt 
gefallenen Vorentscheidungen des Kontrollrats sorgsam vermieden — allerdings um 
den Preis, daß die Reform in wesentlichen Teilen auf die Krankenversicherung 
begrenzt wurde und damit vorrangig den in der Zeit vor der Währungsreform in der 
französischen Zone wichtigsten Teil des Systems und nicht die gesamte Sozialversi 
cherung erfaßte. Baden-Baden konnte die französische Kontrollratsgruppe bei den 
Berliner Planungen aber auch nur begrenzt unterstützen. Denn während Amerika 
ner, Briten und Sowjets auf ein breites Arsenal deutscher Experten in ihrer Zone 
zurückgreifen konnten, verfügten die Franzosen mit Ausnahme weniger Ministerial- 
beamter und Krankenversicherungsexperten sowie einer einzigen Landesversiche 
rungsanstalt in Speyer, die mit der Koordinierung und Reorganisation der Verwal 
tung ihrerseits personell bereits völlig überfordert war, über keine deutschen Sach
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.