Full text: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953

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sultativ- und Exekutivorgane jedenfalls als Ansatzpunkt, eine einheitliche Behand 
lung Deutschlands zu wahren. 260 
Gegen die Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit haben die Franzo 
sen offiziell nicht Einspruch erhoben, und seit dem Winter 1945/46 haben sie diese 
Einheit, im Gegenteil, ihrerseits immer deutlicher gefordert. In der frühen Phase der 
Besatzung sprach in den Augen eines Teils der französischen Besatzungsverwaltung 
dagegen, daß eine wirtschaftliche Nutzung der französischen Zone ungestörter vor 
sich gehen konnte, solange die anderen Alliierten keine allzu eindringlichen Blicke 
auf Einzelheiten der Vorgänge werfen konnten. Wie diese Nutzungspolitik im einzel 
nen aussah, was daran Tatsache und was ungenauer Eindruck der Zeitgenossen war, 
welche Entscheidungen dahinter standen und von wem sie gefällt wurden, ist zur 
Zeit noch nicht ausreichend erforscht. Jedenfalls war seit dem Beginn der Besatzung 
auch die andere Seite der Medaille deutlich: als von ihrer Infrastruktur her schwäch 
ste Zone hatte die französische Besatzungszone von einer wirtschaftlichen Abschnü 
rung gravierende Nachteile zu erwarten. Die zahlreichen französischen Hilfsersu 
chen an die Amerikaner, Lebensmittel für ihre Zone zu liefern — welche die Ameri 
kaner ihrerseits recht geschickt als politisches Druckmittel einsetzten —, sind nur die 
Spitze des Eisberges, den das gesamte Problem darstellte. Politisch war von Paris her 
das Ziel vorgegeben, eine Stärkung eigenständiger politischer Zentralgewalten in 
Deutschland so lange wie möglich hinauszuzögern; daß sie auf die Dauer nicht zu 
verhindern sein würden, war den Sachkennern dabei klar. Der Ost-West-Gegensatz 
führte in dieser Hinsicht schließlich zumindest zu einer Art „Teilerfolg“ für diese 
französischen Ziele, und er hielt die von de Gaulle und Bidault so gefürchteten 
Sowjets — um in der französischen Terminologie zu bleiben — nicht hinter dem 
Rhein, sondern hinter der Elbe zurück. Die Spannung zwischen politischer Dezen 
tralisierung und wirtschaftlicher Einheit Deutschlands in den französischen Zielen 
führte die mit der Ausführung der Politik beauftragten Offiziere und Beamten zu 
Drahtseilakten auf einem Seil, das von Monat zu Monat dünner wurde. Hier lag 
einer der grundlegenden inneren Widersprüche der französischen Politik, der solan 
ge auch nicht klar gelöst werden konnte, wie innerhalb des französischen Entschei 
dungsprozesses unterschiedliche oder gegensätzliche Kräfte am Werk waren und wie 
der „öffentlichen Meinung“ in Frankreich der illusionäre Charakter der Forderung 
nach einer Großmachtstellung Frankreichs und nach Aufteilung Deutschlands in 
mehrere Staaten nicht deutlich wurde. Den französischen Politikern konnte diese 
„öffentliche Meinung“ andererseits dazu dienen, allzu gewagte Drahtseilakte gegen 
über ihren Verbündeten zwar nicht plausibel zu machen, aber wenigstens zu ent 
schuldigen — Bidault scheint ein Meister auf diesem Gebiet gewesen zu sein, wenn 
man den Berichten des amerikanischen Botschafters in Paris glauben kann. 
Langfristig entscheidend waren jedoch nicht nur die Entwicklung der internationa 
len Situation und der politischen und ökonomischen Abhängigkeit Frankreichs von 
den USA, sondern auch die praktischen Probleme „sur le terrain“ in Deutschland, 
welche die offizielle französische Position immer stärker aushöhlten. Insofern haben 
die Sozialversicherungsverhandlungen im Kontrollrat, auch wenn sie 1948 letztlich 
So auch Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 190.
	        
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