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Nach den genannten Noten vom 7. August 1945 unterbreitete Paris seine Argumente
am 14. September in einem langen Memorandum der nächsten Außenministerkonfe
renz in London. 47 Wieder bezogen seine Vorbehalte sich hier nicht allgemein auf
Zentralverwaltungen, sondern auf solche d direction allemande. Am 25. September
beschloß das Comite interministeriel, die französischen Reserven aufrechtzuerhal
ten, bis eine Antwort auf das Memorandum vorliege. 48 Am 26. September wurde in
London, nach einer ausführlichen Erläuterung durch Bidault, darüber diskutiert. 49
Unter Berufung auf die Protokolle der Potsdamer Konferenz, wo Großbritannien
bereits die gleiche Position vertreten habe, unterstützte Bevin die französische For
derung, die Frage der deutschen Westgrenzen nicht durch institutionelle Maßnah
men zu präjudizieren, sondern zunächst genauer zu prüfen. Unter den anderen
Alliierten bestand Einigkeit, daß die Frage zu kompliziert sei, um sofort entschieden
zu werden, wenngleich Byrnes etwas größere Distanz durchblicken ließ als Bevin.
Bidault setzte sich mit seinem Wunsch nach sofortiger Entscheidung nicht durch.
Der Kompromiß, die Debatte einige Tage später fortzusetzen, wurde durch die
politische Entwicklung jedoch überholt: Infolge der Kontroversen über die Entwick
lung auf dem Balkan trat die Deutschlandfrage in den Hintergrund, und am
28. September beschloß die Konferenz, Frankreich solle den Komplex through the
diplomatic channel weiter verfolgen. 50
Dieser Punkt ist entscheidend für die Erklärung des im folgenden zu beobachtenden
französischen Verhaltens und der sich allmählich abzeichnenden Differenzierungen:
Die Ebenen von Kontrollrat und Regierungen entwickelten sich auseinander. Den
amerikanischen Protokollen zufolge bestand zumindest unter den Westmächten und
offiziell unter allen Alliierten Einigkeit darüber, daß die Westgrenzenfrage nicht
durch andere Entscheidungen präjudiziert werden dürfe. Dies entsprach der franzö
sischen Position, wie sie nun im Kontrollrat vertreten wurde. In der Forschung wird
bislang wenig beachtet, daß Clay in Berlin damit eine andere Haltung einnahm als
die Außenminister, wenn er die französische Position als „Obstruktion“ betrachtete:
Eine offizielle Antwort auf ihr Memorandum vom 14. September hat die französi
sche Regierung, wie sie mehrfach monierte, entgegen der Londoner Ankündigung
nie erhalten. 51 Die Situation, in der die Londoner Beratungen am 28. September
abgebrochen wurden, war im übrigen charakteristisch: Die — rückblickend aus
deutscher Sicht vielleicht „zentrale“ — Frage der deutschen Zentralverwaltungen
41 Abgedruckt in: Documents fran9ais, S. 13—15. Konferenzprotokolle in FRUS 1945 Bd. 2,
S. 99-558.
48 Beschlußprotokoll in AN F 60/3034/2.
49 Amerikanisches Wortprotokoll mit Ergänzungen aus den britischen Akten in FRUS 1945
Bd. 2, S. 400 ff. Brit. Protokoll in DBPO Bd. 2, S. 382 ff.
50 Beschluß der Außenministerkonferenz, 28. 9. 1945; FRUS ebd., S. 429.
51 Dies stellte Bidault auch im Frühjahr 1946 noch einmal fest; Bidault an Caffery, 1. 3. 1946,
in: Documents fran^ais, S. 20 ff., hier S. 21 f. Vgl. u. a. Gespräch Byrnes’ mit Couve de
Murville, Washington 20. 11. 1945; FRUS 1945 Bd. 3, S. 907 f. Botschafter Bonnet beschwer
te sich im März 1946 im State Department, Clay und Murphy verfälschten in Berlin die
amerikanische Position; Sous-Direction d’Europe centrale an Rene Mayer, 14. 3. 1946;
MdAEY (1944-1949) 377.